Zyklus der Erdenkinder 02 - Ayla und das Tal der Pferde
liebsten in einer windgeschützten Höhle. Sie waren Fleischfresser und anpassungsfähig. Dichtigkeit und Färbung ihres Fells paßten sich dem Klima, ihre Jagdgewohnheiten den Verhältnissen an – Hauptsache war, es waren genug Beutetiere vorhanden.
Am Morgen nach dem Tag, da Winnie fortging, als sie beim Aufwachen feststellte, daß Baby mit dem Kadaver eines gefleckten Hirschkalbs – dem Kalb eines Riesenhirschs – neben ihr geschlafen hatte, faßte Ayla einen Vorsatz. Sie würde von hier fortgehen, darüber herrschte bei ihr kein Zweifel, doch noch nicht diesen Sommer. Der Junglöwe brauchte sie immer noch; er war zu jung, um alleingelassen zu werden. Kein wildlebendes Rudel würde ihn annehmen; die wildlebenden männlichen Löwen würden ihn töten. Bis er alt genug war, um sich zu paaren und sein eigenes Rudel zusammenzubringen, war er auf die Geborgenheit und den Schutz ihrer Höhle genauso angewiesen wie sie selbst.
Iza hatte ihr gesagt, sie solle nach Leuten ihrer eigenen Art Ausschau halten und sich einen Gefährten suchen; eines Tages würde sie ihre Suche auch fortsetzen. Aber sie war erleichtert, daß sie ihre Freiheit noch nicht aufzugeben brauchte zugunsten der Gesellschaft von Menschen, deren Sitten und Gebräuche sie nicht kannte. Sie wollte nicht fortziehen, bis sie sicher war, daß Winnie nicht wieder zurückkehrte. Das Pferd fehlte ihr sehr. Winnie war von Anfang an bei ihr gewesen, und Ayla liebte sie.
»Komm, Faulpelz!« sagte Ayla. »Laß uns ein paar Schritte gehen und sehen, ob wir was zum Jagen finden. Du bist ja gestern abend nicht rausgegangen.« Sie stupste den Löwen an, verließ dann die Höhle und gab ihm zu verstehen, er solle ihr folgen. Er reckte den Kopf, riß das Maul zu einem gewaltigen Gähnen auf, zeigte dabei seine scharfen Reißzähne, erhob sich dann jedoch und trottete einigermaßen widerwillig hinter ihr her. Baby war nicht hungriger als sie und hätte viel lieber geschlafen.
Am Vortag hatte sie Heilkräuter gesammelt, etwas, was sie gern tat und mit angenehmen Erinnerungen verknüpft war. Während ihrer jüngeren Jahre beim Clan hatte die Aufgabe des Heilkräutersammelns für Iza ihr Gelegenheit geboten, den stets wachsamen Augen der anderen zu entschlüpfen, die so rasch bei der Hand waren, Mißbilligung über ungehöriges Verhalten auszudrücken. Es hatte ihr eine kleine Atempause verschafft, ihren natürlichen Neigungen zu folgen. Später hatte sie die Kräuter aus Freude am Erlernen der Heilkunst gesucht, und dieses Wissen der Medizinfrau war heute Teil ihres Wesens.
Die heilenden Eigenschaften der Kräuter waren für Ayla so eng mit jeder Pflanze verbunden, daß sie sie ebensosehr nach diesen Eigenschaften wie nach ihrem Aussehen unterschied. Die Odermennig-Büschel, die in der warmen dunklen Höhle kopfüber von der Darre heruntergingen, waren für sie ebensosehr der Grundstoff für einen Aufguß gegen Blutergüsse, Abschürfungen und innere Verletzungen wie lange schlanke, winterfeste Mehrjahrspflanzen mit gezahnten Blättern und winzigen gelben Blüten, die auf spitz zulaufenden Stengeln saßen.
Huflattichblätter, die auf den geflochtenen Matten ihrer Darre ausgebreitet waren, brachten Linderung bei Atembeschwerden, wenn man den Rauch der schwelenden Blätter einatmete; sie bildeten zusammen mit anderen Ingredienzien einen hustenlösenden Tee und eigneten sich überdies gut als Speisewürze. Der Anblick der flaumbedeckten großen Beinwurzblätter, die samt Wurzeln draußen in der Sonne trockneten, erinnerte sie an das Zusammenflicken von Knochen und die Wundheilung. Die leuchtenden Ringelblumen stellten ein Heilmittel bei offenen Wunden, Schwären und Hautabschürfungen dar. Kamille half bei der Verdauung, eignete sich als leichter Aufguß aber auch zum Reinigen von Wunden, und die Blütenblätter der Wildrose, die auf einer in der Sonne stehenden Schale Wasser schwammen, ergaben eine duftende Flüssigkeit, welche die Haut angenehm straffte.
Sie hatte sie gesammelt, um das unbenutzte Vorjahrsmaterial durch frisches zu ersetzen. Obwohl sie nur wenig Verwendung für all die vielen gesammelten Heilkräuter hatte, genoß sie das Sammeln als solches, und außerdem frischte sie auf diese Weise ihr Gedächtnis auf. Doch da überall wo Platz war, Blätter, Blüten, Rinde und Wurzeln in unterschiedlichen Stadien der Verwertbarkeit herumlagen, hatte es keinen Sinn, noch mehr zu sammeln – sie hatte einfach nicht den nötigen Raum. Infolgedessen hatte sie nichts
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