Zyklus der Erdenkinder 02 - Ayla und das Tal der Pferde
anzubringen, neidete ihm seine Freiheit, sich auszudrücken. Doch irgendwo war da ein unbestimmtes Hindernis, über das sie nicht hinwegkam, spürte sie einen Mangel, bei dem sie manchmal das Gefühl hatte, ihn ausfüllen zu können, um dann doch nicht dazu imstande zu sein. Ihre Intuition sagte ihr, daß sie es wissen müßte – daß das Wissen in ihr eingeschlossen sei und sie nur den Schlüssel finden müßte.
»Tut mir leid, Ayla. Ich hätte dich nicht so anfahren sollen, aber Thonolan war mein Bruder …« Das Wort war fast wie ein Aufschrei.
»Bruder. Du und anderer Mann … haben dieselbe Mutter?«
»Ja, wir hatten dieselbe Mutter.«
Sie nickte und wandte sich wieder dem Pferd zu. Wenn sie ihm doch nur sagen könnte, daß sie die besondere Beziehung verstand, die zwischen Menschen bestand, die von derselben Mutter geboren worden waren. Creb und Brun waren Brüder gewesen.
Sie war mit dem Packen der Körbe fertig und griff nach den Speeren, um sie in den Halterungen festzustecken, sobald sie durch den niedrigen Höhleneingang nach draußen gekommen wäre. Während er ihr bei ihren letzten Vorbereitungen zusah, ging ihm auf, daß das Pferd für die Frau mehr war als nur ein seltsamer Gefährte. Das Tier brachte ihr entschieden Vorteile. Ihm war nicht klargewesen, wie nützlich so ein Pferd sein konnte. Doch noch ein anderer Widerspruch verwirrte ihn: Sie benutzte ein Pferd, ihr bei der Jagd zu helfen und das Fleisch zurückzubringen – von so etwas Fortschrittlichem hatte er noch nie gehört – und doch benutzte sie Speere, die primitiver waren als alles, was ihm je zu Gesicht gekommen war.
Er war schon mit vielen auf die Jagd gegangen, und jede Gruppe verwendete ihre besondere Art von Jagdspeeren, die sich jedoch untereinander nicht so grundsätzlich unterschieden wie von dem Speer, den sie benutzte. Trotzdem hatte der Speer etwas Vertrautes. Seine Spitze war scharf und feuergehärtet, der Schaft gerade und glatt – trotzdem war er so ungefüge. Selbstverständlich sollte er geschleudert werden, das war überhaupt keine Frage; er war sogar größer als derjenige, den er benutzte, um Nashörner zu jagen. Wenn sie zurückkam, mußte er sie fragen, was es damit auf sich hatte. Jetzt würde das zu lange dauern. Sie machte zwar Fortschritte mit der Sprache, aber es war immer noch schwierig.
Ehe Ayla und Winnie loszogen, führte er das Füllen in die Höhle. Dort kraulte und streichelte er das kleine Pferd und redete solange mit ihm, bis er überzeugt war, daß Ayla und die Stute weit fort wären. Es war ein merkwürdiges Gefühl, allein in der Höhle zu sein und zu wissen, daß die Frau den größten Teil des Tages über fortbleiben würde. Er benutzte den Stock, um sich hochzuziehen; dann siegte seine Neugier, er fand eine Lampe und zündete sie an. Den Stock zurücklassend – in der Höhle brauchte er ihn nicht – hielt er die ausgehöhlte Steinlampe in der einen Hand und folgte den Wänden der Höhle, um zu sehen, wie groß sie eigentlich war und wohin sie führte. Was die Größe betraf, so gab es keinerlei Überraschungen – sie war ungefähr so groß, wie er angenommen hatte, und bis auf die kleine Nische hinten gab es keine Seitengänge. Doch die Nische wartete mit einer Überraschung auf: alles wies darauf hin, daß hier in letzter Zeit ein sehr großer Höhlenlöwe gehaust hatte; nicht einmal Tatzenspuren fehlten.
Nachdem er sich den Rest der Höhle angesehen hatte, war er überzeugt, daß Ayla seit Jahren hier lebte. Was die Spur des Höhlenlöwen betraf, so mußte er sich irren. Doch als er noch einmal hinging und die Nische genauer untersuchte, war er doch überzeugt, daß innerhalb des vergangenen Jahres irgendwann einmal ein Höhlenlöwe hier gehaust haben mußte.
Noch ein Geheimnis! Ob er jemals Antwort auf all diese verwirrenden Fragen erhalten würde?
Er nahm einen von Aylas Körben – unbenutzt, soweit er sehen konnte – und beschloß, unten am Strand nach Feuersteinen zu suchen. Warum sich nicht nützlich machen? Während das Füllen voraussprang, mühte Jondalar sich mit Hilfe seines Stocks den steilen Pfad hinunter. Nahe dem Knochenhaufen lehnte er ihn an die Felswand. Wenn er ihn doch endlich überhaupt nicht mehr brauchen würde!
Jondalar blieb stehen, um das Hengstfohlen, das an seiner Hand schnupperte, zu streicheln und zu kratzen, und lachte dann, als das junge Pferd sich überschäumend vor Freude in der Suhle wälzte, die es sonst mit Winnie benutzte. Vor Entzücken prustend und
Weitere Kostenlose Bücher