Zyklus der Erdenkinder 02 - Ayla und das Tal der Pferde
gehörte.
Als er ins Zelt kriechen wollte, hörte er seinen Bruder aufstöhnen. Es war der erste Laut, den er von Thonolan hörte. Daraufhin machte er, daß er wieder aus dem Zelt herauskam, schöpfte einen Becher Tee und bemerkte, daß kaum noch Flüssigkeit übriggeblieben war. Ob das Gebräu wohl jetzt zu stark war? Mit einem Becher der heißen Flüssigkeit kroch er nochmals ins Zelt hinein, suchte wie gehetzt nach einer Stelle, wo er ihn absetzen konnte, und bemerkte, daß nicht nur sein Sommerüberwurf sich mit Blut vollgesogen hatte. Das Blut sammelte sich unter Thonolan und färbte seine Schlafrolle.
Er verliert zuviel Blut! Oh, Mutter! Er braucht einen Zelandoni. Was soll ich nur tun? Die Angst um seinen Bruder machte ihn immer aufgeregter. Wie hilflos er sich vorkam! Ich muß Hilfe holen. Aber wo? Wo finde ich einen Zelandoni? Ich kann ja nicht einmal über die Schwester hinüber, und allein zurücklassen kann ich ihn auch nicht. Sonst wittert irgendein Wolf oder eine Hyäne Blut und fällt über ihn her.
Große Mutter! Schau das viele Blut auf dem Überwurf! Irgendein Tier riecht es bestimmt. Jondalar packte das blutdurchtränkte Hemd und warf es zum Zelt hinaus. Nein, das hilft auch nichts. Wie der Wind war er aus dem Zelt draußen, hob das Hemd wieder auf und sah sich gehetzt nach einer Stelle um, entfernt vom Lager, fern von seinem Bruder, wo er es hinlegen konnte.
Er war wie benommen, von Kummer überwältigt, und im Grunde seines Herzens wußte er, daß es keine Hoffnung gab. Sein Bruder brauchte Hilfe, die er ihm nicht geben konnte; und fortgehen, um Hilfe herbeizuholen, konnte er auch nicht. Selbst wenn er wüßte, wo er Hilfe bekäme, könnte er nicht fort. Es war sinnlos, sich vorzumachen, daß ein blutgetränkter Überwurf Raubtiere mehr anziehen würde als Thonolan mit seiner offenen Wunde selbst. Aber er wollte der Wahrheit in seinem Herzen nicht ins Auge schauen. Er wandte sich von der Vernunft ab und ergab sich der Panik.
Er sah den Erlenhain und hetzte den Hügel hinauf und klemmte das Lederhemd in einer hohen Astgabelung fest. Dann lief er zurück. Er kroch ins Zelt hinein und starrte Thonolan an, als ob er ihn mit bloßer Willensanstrengung dazu bringen könnte, wieder gesund und heil und ganz zu werden und zu lächeln.
Fast als ob Thonolan sein Flehen gespürt hätte, stöhnte er, warf den Kopf hin und her und schlug die Augen auf. Der knieende Jondalar brachte das Gesicht näher heran und erkannte trotz des schwachen Lächelns Schmerz in seines Bruders Augen.
»Du hast recht gehabt, großer Bruder. Wie gewöhnlich. Wir hatten das Nashorn doch nicht abgehängt.«
»Es geht mir aber nicht darum, recht zu haben, Thonolan. Wie fühlst du dich?«
»Willst du eine ehrliche Antwort? Es schmerzt. Wie schlimm ist es?« fragte er dann und versuchte, sich aufzusetzen. Das halbherzige Grinsen verzerrte sich in eine Grimasse des Schmerzes.
»Versuch nicht, dich zu bewegen. Hier, ich habe etwas Weidenrinde aufgegossen.« Jondalar stützte seinem Bruder den Kopf und hielt ihm den Becher an die Lippen. Thonolan trank ein paar Schlucke, legte sich dann jedoch erleichtert wieder zurück. So etwas wie Angst gesellte sich zu dem Schmerz in seinen Augen.
»Sag es mir rundheraus, Jondalar. Wie schlimm ist es?«
Der große Mann schloß die Augen und holte tief Atem. »Es sieht nicht gut aus.«
»Das habe ich auch nicht angenommen – aber wie schlimm ist es wirklich?« Thonolans Blick fiel auf die Hände seines Bruders, und seine Augen weiteten sich vor Schreck. »Deine Hände sind ja über und über mit Blut beschmiert! Stammt das von mir? Ich glaube, du solltest mir die Wahrheit sagen.«
»Ich weiß es eigentlich auch nicht. In der Leistengegend hat es dich mit dem Horn aufgerissen, und du hast viel Blut verloren. Das Nashorn muß dich entweder in die Luft geschleudert haben oder auf dir rumgetrampelt sein. Ich glaube, dabei hast du dir ein paar Rippen gebrochen. Was sonst noch ist, weiß ich nicht. Ich bin kein Zelandoni …«
»Aber ich brauche einen, und die einzige Hoffnung, Hilfe zu finden, liegt auf der anderen Seite des Flusses, über den wir nicht hinüberkommen.«
»Das war’s dann ja wohl.«
»Hilf mir auf, Jondalar. Ich will sehen, wie schlimm es ist.«
Jondalar wollte widersprechen, gab dann jedoch zögernd nach und bedauerte das augenblicklich. In dem Moment, da Thonolan sich aufzusetzen versuchte, schrie er vor Schmerz auf und verlor wieder das Bewußtsein.
»Thonolan!« rief Jondalar. Die
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