Zyklus der Erdenkinder 02 - Ayla und das Tal der Pferde
er jedoch weiter vorhatte oder beabsichtigte, blieb genauso dunkel wie die rätselhafte Farbe seiner Augen. Sein Lächeln, das im ersten Augenblick einnehmend erschienen war, wirkte bei näherem Hinsehen eher ironisch. Jondalar ahnte, daß dieser Heilkundige wie so viele seiner Zunft sowohl ein mächtiger Freund als auch ein schrecklicher Gegner sein konnte.
Er nickte, gleichsam als behielte er sich ein endgültiges Urteil noch vor, lächelte kurz, um zu zeigen, wie dankbar er sei, und trat ein. Überrascht stellte er fest, daß Jetamio noch vor ihm gekommen war. Sie stützte Thonolans Kopf und hielt ihm einen Knochenbecher an die Lippen.
»Ich hätte es wissen müssen«, sagte er, und sein Lächeln drückte die reine Freude aus, als er seinen Bruder wach und offensichtlich beträchtlich genesen sah. »Du hast es wieder mal geschafft.«
Beide sahen sie Jondalar an. »Was habe ich geschafft, großer Bruder?«
»Binnen dreier Herzschläge nach dem Augenaufmachen hast du es geschafft, die schönste Frau weit und breit dazuzubringen, dir aufzuwarten.«
Thonolans Grinsen war der schönste Anblick, den sein Bruder sich vorstellen konnte. »Du hast recht, was die hübscheste Frau weit und breit betrifft.« Herzlich sah Thonolan Jetamio an. »Aber was treibst du in der Geisterwelt? Und wo ich gerade darüber nachdenke – bedenke, daß sie meine ganz persönliche Donii ist. Du brauchst deine großen blauen Augen gar nicht erst zu bemühen.«
»Mach dir meinetwegen keine Sorgen, kleiner Bruder. Jedesmal, wenn sie mich ansieht, kann sie sich vor Lachen nicht mehr halten.«
»Über mich kann sie lachen, soviel sie will«, sagte Thonolan und lächelte die Frau an. Sie erwiderte sein Lächeln. »Kannst du dir vorstellen, vom Tod aufzuwachen und als erstes dieses Lächeln zu sehen?« Hatte er sie erst herzlich angesehen, wirkte sein Blick jetzt, wo er ihr in die Augen sah, ausgesprochen liebevoll.
Jondalar sah zwischen seinem Bruder und Jetamio hin und her. Was geht hier vor? Thonolan ist gerade erst wieder zu sich gekommen; sie können kaum ein Wort miteinander gesprochen haben, und doch würde ich schwören, er ist in sie verliebt. Er faßte die Frau jetzt objektiver ins Auge.
Ihr Haar war von einem eher nichtssagenden hellen Braun, und sie selbst war kleiner und schmaler als die Frauen, von denen Thonolan sich für gewöhnlich angezogen fühlte. Man hätte sie fast für ein Mädchen halten können. Sie besaß ein herzförmiges Gesicht mit ebenmäßigen Zügen, war dabei jedoch eine eher gewöhnlich aussehende junge Frau; hübsch vielleicht, aber ganz gewiß nicht ungewöhnlich – bis sie lächelte.
In diesem Augenblick wurde sie durch irgendeine unerwartete Alchemie, durch eine geheimnisvolle Neuverteilung von Licht und Schatten, und eine rätselhafte Veränderung ihrer Züge schön, unendlich schön. Die Veränderung, die mit ihr vorging, war so vollkommen, daß auch Jondalar sie plötzlich schön fand. Sie brauchte nur zu lächeln, um diesen Eindruck hervorzurufen; dabei hatte er das Gefühl, daß sie eigentlich gar nicht oft lächelte. Ihm fiel ein, daß er sie zuerst für ernst und scheu gehalten hatte, obwohl er das jetzt kaum noch glauben konnte. Sie strahlte, war von vibrierender Lebendigkeit, und Thonolan schaute sie mit einem idiotischen, liebeskranken Grinsen an.
Nun, es ist nicht das erste Mal, daß Thonolan verliebt ist, dachte Jondalar. Hoffentlich nimmt sie es nicht zu schwer, wenn wir weiterziehen.
Eine der Schnüre, die das Rauchloch oben an der Spitze seines Zeltes zuhielt, war durchgescheuert. Jondalar starrte hinauf, nahm es jedoch nicht wahr. Er war hellwach, lag in seiner Schlafrolle und überlegte, was ihn so rasch aus den Tiefen seines Schlafes herausgerissen hatte. Er rührte sich nicht, spitzte jedoch die Ohren, schnupperte und bemühte sich, irgend etwas Ungewöhnliches zu entdecken, das ihn geweckt und vor irgendeiner drohenden Gefahr gewarnt hatte. Nach ein paar Augenblicken schlüpfte er aus der Schlafrolle hinaus, konnte aber nichts Ungewöhnliches entdecken.
Ein paar Leute hatten sich um das Lagerfeuer versammelt. Unruhig und gereizt wie er war, schlenderte er hinüber. Irgend etwas nagte an ihm, doch er wußte nicht, was. Thonolan? Nein, beim Können des Shamud und der aufmerksamen Pflege Jetamios ging es seinem Bruder ausgesprochen gut. Nein, es war nicht Thonolan, der ihn beunruhigte – jedenfalls nicht direkt.
»Hola«, sagte er zu Jetamio, als sie aufblickte und lächelte.
Sie fand ihn
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