Zyklus der Erdenkinder 03 - Ayla und die Mammutjäger
ein Kind zu verlieren«, sagte Ayla. Sie sagte das so bitter, daß Fralie aufblickte und sich fragte, was denn los sei. Ayla setzte den Becher ab und stand auf. »Ich habe in der Nahe Wermut wachsen sehen. Die Wurzel ergibt ein sehr starkes Heilmittel. Oft benutze ich es nicht, aber ich möchte etwas machen, das die Mutter dazu bringt, sich zu beruhigen und zu entspannen, und da muß es schon stark sein.«
Das Löwen-Lager erlebte im Laufe des Tages eine Reihe von Aktivitäten und Zeremonien, an denen es am Rande auch teilnahm, doch am Abend änderte sich die Atmosphäre und lud sich mit einer Intensität auf, der sich auch die Gäste nicht entziehen konnten. Die hochgepeitschten Gefühle ließen die Mamutoi in echt empfundenes Wehklagen ausbrechen, als die beiden Kinder auf hängemattenähnlichen Bahren aus einer Hütte herausgetragen und jedem einzelnen Anwesenden zum Abschiednehmen gezeigt wurden.
Als die Leute die Bahren langsam an den trauernden Gästen vorübertrugen, bemerkte Ayla, daß die Kinder in wunderschöne und reichgeschmückte Gewänder eingehüllt waren wie für ein bedeutendes Fest. Auch wenn sie nicht wollte, sie war beeindruckt und interessiert. Stücke unterschiedlich eingefärbten und von Natur aus verschiedenfarbenen Leders waren zu einem verzwickten geometrischen Muster zusammengenäht und zu Kitteln und langen Hosen verarbeitet worden; an besonderen Stellen waren Flächen mit Tausenden von kleinen Elfenbeinkügelchen ausgefüllt. Ein flüchtiger Gedanke ging ihr durch den Kopf. Ob wohl all diese umständlichen Arbeiten nur mit Hilfe einer spitzen Ahle ausgeführt worden waren? Vielleicht würde man hier die Einführung einer spitzen Elfenbeinnadel mit dem Öhr am dicken Ende begrüßen?
Was ihr weiterhin auffiel, waren Stirnbänder und Leibriemen sowie ein dem toten Mädchen um die Schultern gelegter Umhang mit einem überaus reizvollen Muster und aus einem Material hergestellt, das offenbar aus dem von wolletragenden Tieren abgestoßenen Flaum gewirkt worden war. Am liebsten hätte sie es angefaßt und es sich genau betrachtet, um zu sehen, wie es gemacht worden war, doch wäre das jetzt ungehörig gewesen. Der neben ihr stehende Ranec bemerkte den Umhang gleichfalls und machte einige Bemerkungen zu dem komplizierten Muster aus rechtwinklig angeordneten Spiralen. Ayla hoffte, vorm Weiterziehen mehr darüber erfahren zu können; vielleicht verriet man ihr die Fertigungsweise, wenn sie dafür eine ihrer Elfenbeinnadeln mit dem Öhr am Ende eintauschte.
Außerdem waren beide Kinder auch noch mit Schmuck behangen, der aus Muschelschalen, Reißzähnen von Raubtieren und Knochen bestand; der Junge trug auch noch einen ungewöhnlich großen Stein, der durchbohrt worden war, so daß man ihn als Anhänger an einer Schnur tragen konnte. Anders als die Erwachsenen, deren Haar völlig zerzaust und mit Asche bedeckt war, waren ihre Haare säuberlich gekämmt und zu schönen Frisuren geordnet – das des Jungen war zu Zöpfen geflochten, das des Mädchens an den Schläfen zu Knoten zusammengenommen.
Ayla konnte sich des Gedankens nicht erwehren, daß die Kinder nur schliefen und jeden Moment aufwachen würden. Mit ihren rundwangigen, völlig unverrunten Gesichtern sahen sie viel zu jung und gesund aus, als daß sie bereits in das Reich der Geister hätten eingegangen sein können. Sie merkte, wie ein Schauder sie durchlief, und sie sah unwillkürlich zu Rydag hinüber. Dabei begegnete sie Nezzies Blick und schaute beiseite.
Schließlich wurden die Kinder zu dem langen, schmalen Graben gebracht. Sie wurden hineingelegt und Kopf an Kopf gebettet. Eine Frau mit einem ganz besonderen Kopfputz und in einem langen, perlenbestickten Überwurf stand auf und stimmte einen schrillen Klagegesang an, der alle erschauern ließ. Sie trug viele Halsketten und Anhänger, die bei jeder Bewegung klirrten und klickten; außerdem mehrere lose Elfenbeinreifen an den Armen, die aus unterschiedlichen, daumenbreiten Bändern bestanden. Ayla bemerkte, daß sie Ähnlichkeit mit denen aufwiesen, die auch die Mamutoi trugen.
Ein tiefer dröhnender Trommelschlag weckte den vertrauten Ton einer Mammutschädeltrommel. Wehklagend und singend begann die Frau sich zu drehen und sich zu wenden, sich auf die Zehenspitzen zu stellen und die Füße zu heben, manchmal in unterschiedliche Richtungen zu blicken und doch auf ein und demselben Fleck stehenzubleiben. Sie bewegte die Arme ruckartig und rhythmisch, und ihre Armreifen
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