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Zyklus der Erdenkinder 06 - Ayla und das Lied der Höhlen

Zyklus der Erdenkinder 06 - Ayla und das Lied der Höhlen

Titel: Zyklus der Erdenkinder 06 - Ayla und das Lied der Höhlen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean M. Auel
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ganze Höhle, und die Höhle dehnte sich aus. Die Wände atmeten, weiteten sich, zogen sich zusammen, und Ayla war in einem Schoß, einem riesigen schwarzen Schoß tief in der Erde. Aber sie war nicht allein.
    Die Formen waren unbestimmt, durchsichtig, dann verdichteten sie sich zu erkennbaren Gestalten. Tiere jeder Art, alle, die Ayla je gesehen hatte, sowie Vögel, Fische, Insekten und einige, denen sie noch nie zuvor begegnet war. Sie bildeten eine lange Reihe, ungeordnet und ohne Muster, ein Lebewesen floss ins andere. Ein Tier wurde zu einem Vogel oder einem Fisch oder zu einem anderen Vogel, Tier oder Insekt. Eine Raupe wurde zu einer Eidechse, dann zu einem Vogel, der sich zu einem Höhlenlöwen entwickelte.
    Der Löwe stand da und wartete, dass sie ihm folgte. Gemeinsam schritten sie durch Gänge, Tunnel, Fluchten, die Wände verwandelten sich in Formen, die sich beim Näherkommen verdichteten, Gestalt annahmen und wieder in der Wand aufgingen, sobald sie daran vorbei waren. Eine Herde Wollmammuts zog mit bedächtigen, schweren Schritten über eine gewaltige Grassteppe, wurde von einer Wisentherde überholt, die ihren Platz einnahm.
    Ayla sah zwei Rentiere aufeinander zugehen. Ihre Nasen berührten sich, das Weibchen sank auf die Knie, das Männchen leckte es ab. Diese zärtliche Szene berührte Ayla, dann wurde ihre Aufmerksamkeit auf zwei Pferde, Hengst und Stute, gelenkt. Die Stute war rossig, drängte sich vor den Hengst und machte sich bereit, damit er sie besteigen konnte.
    Ayla wandte sich in eine andere Richtung und folgte dem Löwen einen langen Gang hinab. Am Ende des Tunnels befand sich eine große, runde, schoßartige Nische. Aus der Ferne vernahm sie ein Hämmern, das immer lauter wurde, dann donnerte eine Wisentherde heran und füllte die Nische, blieb stehen und graste.
    Das Hämmern dauerte an, die Wände pulsierten in langsamem, stetigem Rhythmus. Der Felsboden unter Aylas Füßen schien nachzugeben, das Pochen wurde zu einer tiefen, erdigen Stimme, die sie zunächst kaum wahrnahm.
    Dann wurde sie lauter, und Ayla erkannte den Klang. Die sprechende Trommel der Mamutoi! Nur bei den Mammutjägern hatte sie je eine solche Trommel gehört.
    Das Instrument bestand aus Mammutknochen und besaß, wenn es mit einem Stock aus einem bearbeiteten Geweih gespielt wurde, eine immense Resonanzvielfalt. Wurde auf unterschiedliche Art an verschiedenen Stellen schnell darauf geschlagen, hatte der Zuhörer den Eindruck, eine Menschenstimme würde sprechen. Die Wörter, mit einem stakkatoartigen Hämmern intoniert, klangen zwar nicht ganz wie eine menschliche Stimme, waren jedoch unverkennbar Wörter. In ihnen schwang ein leichtes Vibrato mit, was ihnen große Ausdruckskraft und auch eine geheimnisvolle Aura verlieh. Wenn jemand diese Trommel wirklich spielen konnte, waren deutlich Wörter zu verstehen, das heißt, man konnte die Trommel zum Sprechen bringen.
    Der Rhythmus und das Muster der von der Trommel gebildeten Wörter klangen Ayla allmählich vertraut. Dann hörte sie den hohen Ton einer Flöte, dazu den Gesang einer süßen, hohen Stimme, die wie Fralie klang, eine MamutoiFrau, die Ayla kannte. Fralie war schwanger gewesen und hatte das Kind vor der Zeit verloren. Ayla hatte ihr zur Seite gestanden, dennoch war das Mädchen zu früh zur Welt gekommen. Aber der Säugling hatte überlebt und war zu einer gesunden und kräftigen Tochter herangewachsen.
    Ayla saß in der runden Nische und merkte, dass ihr Gesicht nass war vor Tränen. Sie weinte schluchzend, keuchend, als hätte sie einen überwältigenden Verlust erlitten. Der Klang der Trommel wurde lauter und übertönte ihre gequälte Klage. Sie erkannte Laute, vernahm einzelne Wörter.
    Aus dem Chaos der Zeit, im Dunkel verloren
Ward aus wirbelndem Strahl die Mutter geboren, Wird gewahr ihres Seins, sieht des Lebens Wert, Doch die Erdmutter trauert, denn eins ist ihr verwehrt.
    Sie ist allein. Will es nicht sein.
    Das Lied von der Mutter! Gesungen, wie Ayla es nie zuvor gehört hatte. Wäre sie nur fähig zu singen, dann würde sie das Lied genau so anstimmen. Tief und erdig wie eine Trommel, zugleich hoch und volltönend wie eine Flöte, so dass die tiefe, runde Nische unter dem vollen Klang vibrierte.
    Die Stimme füllte ihren Kopf mit Wörtern, die sie eher spürte als hörte, und das Gefühl bedeutete ihr um vieles mehr als die Wörter. Ayla hörte jede Zeile, bevor sie erklang, und wenn sie dann erklang, war sie voller, ausdrucksstärker,

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