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Zyklus der Erdenkinder 06 - Ayla und das Lied der Höhlen

Zyklus der Erdenkinder 06 - Ayla und das Lied der Höhlen

Titel: Zyklus der Erdenkinder 06 - Ayla und das Lied der Höhlen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean M. Auel
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dunkle Vorahnung der Sorge.
Ayla umgab Ruhe und Frieden, sie sank in einen weichen Dunst, der sie tiefer in sich hineinsog, bis er sie völlig umfing. Er verdichtete sich zu einem Nebel, der ihr jegliche Sicht raubte und zu einer schweren, feuchten Wolke wurde. Sie fühlte sich davon verschlungen, sie erstickte, atmete keuchend, rang nach Luft, spürte, dass sie sich in Bewegung setzte.
Immer schneller bewegte sie sich, gefangen inmitten der erdrückenden Wolke, die so schnell dahinflog, dass ihr Atem stockte, sie bekam keine Luft mehr. Die Wolke schlang sich um sie, quetschte sie zusammen, drückte sich ringsum an sie, zog sich zusammen, dehnte sich aus, zog sich wieder zusammen, wie ein lebendes Wesen. Sie zwang Ayla, sich mit immer größerer Geschwindigkeit zu bewegen, bis sie in einen tiefen, leeren, finsteren Raum stürzte, einen Raum so schwarz wie eine Höhle.
Weniger erschreckend wäre es gewesen, wenn sie einfach eingeschlafen oder bewusstlos geworden wäre, wie es denen erschien, die sie beobachteten, doch das stimmte nicht. Sie konnte sich nicht rühren, verspürte auch nicht den Wunsch danach, aber wenn sie willentlich versuchte, etwas zu bewegen, und sei es auch nur einen Finger, gelang es ihr nicht. Sie konnte den Finger nicht einmal fühlen, ebenso wenig wie einen anderen Körperteil. Sie konnte die Augen nicht öffnen, den Kopf nicht drehen, sie hatte keine Willenskraft mehr, doch sie konnte hören. Auf einer bestimmten Ebene war sie bei klarem Bewusstsein. Wie aus weiter Ferne und doch sehr deutlich vernahm sie den Gesang der Zelandonia, sie hörte das leise Murmeln der Stimmen aus einer Ecke, auch wenn sie nicht wahrnahm, was sie sangen, sie hörte sogar ihren eigenen Herzschlag.
Alle Doniers wählten jeweils einen Ton, dessen Höhe und Timbre sie oder er mühelos länger intonieren konnte. Um einen Gesang über lange Zeit aufrechtzuerhalten, stimmten einige Doniers ihre jeweiligen Töne an, deren Zusammenklang harmonisch sein mochte oder auch nicht; das tat nichts zur Sache. Bevor der erste Sänger außer Atem geriet, fiel eine andere Stimme ein, dann eine weitere und noch eine, in beliebigen Abständen. Daraus entstand ein dröhnendes, ineinander verwobenes Tongefüge, das endlos weitergehen konnte, wenn nur genügend Zelandonia da waren, um jene, die eine Pause einlegen mussten, eine Weile abzulösen.
Für Ayla bildete der Gesang eine beruhigende Geräuschkulisse, die sie zwar wahrnahm, die aber im Hintergrund verschwand, wenn sie im Kopf Szenen beobachtete, die nur sie hinter ihren geschlossenen Lidern sehen konnte, Visionen mit der klarsichtigen Ungereimtheit lebhafter Träume. Ihr kam es vor, als träumte sie wachend. Zuerst nahm sie in dem schwarzen Raum immer mehr an Fahrt auf, das wusste sie, obwohl die Leere sich nicht veränderte. Sie hatte Angst, und sie war allein. So sehr, dass es schmerzte. Sie spürte nichts, konnte weder riechen noch schmecken, hörte nichts, sah nichts, konnte nichts berühren, als hätte keiner dieser Sinne jemals existiert oder würde jemals existieren, nur ihr bewusster, schreiender Verstand.
Eine Ewigkeit verging. Dann, in sehr weiter Ferne, kaum wahrnehmbar, ein schwacher Lichtstrahl. Sie griff danach, strebte darauf zu. Alles besser als dieses Nichts. Ihr Streben beschleunigte sich, das Licht dehnte sich aus zu einem wabernden, kaum erkennbaren Schleier, und einen Moment lang fragte sie sich, ob ihr Verstand den Zustand, in dem sie sich befand, noch auf andere Weise beeinflussen könnte. Das vage Licht verdichtete sich zu einer Wolke, Farben verdunkelten es, fremde Farben mit ungekannten Namen.
Sie sank in die Wolke, stürzte durch sie hindurch, immer schneller, bis sie unten hinausfiel. Eine seltsam vertraute Landschaft mit sich wiederholenden geometrischen Mustern, Quadraten und scharfen Winkeln öffnete sich unter ihr, leuchtend, glänzend, voller Licht, ansteigend. Solche geraden, scharfen Konturen gab es in der ihr bekannten natürlichen Welt nicht. Weiße Bänder schienen sich an diesem seltsamen Ort über den Boden zu ziehen, reichten weit in die Ferne, und merkwürdige Tiere rasten auf ihnen entlang.
Als sie näher kam, sah sie Menschen, Massen sich windender, schlängelnder Menschen, die mit dem Finger auf sie deuteten. »Duuuuu, duuuu, duuuu«, sagten sie, wie ein feierlicher Gesang klang es. Sie sah eine Gestalt, die alleine dastand. Ein Mann, ein Mann gemischter Geister. Sie näherte sich ihm, glaubte, ihn zu kennen, doch nicht ganz. Zunächst

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