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Titel: Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Pan
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Horton und Richard Wohl dafür den Fachbegriff der parasozialen Beziehungen veröffentlichten (Horton & Wohl, 1956). Und auch bei ihnen findet sich ein Beispiel ungewöhnlicher Verliebtheit, wenn eine 23jährige College-Studentin in einem Leserbrief an die Chicago Times am 25. Oktober 1955 schreibt: »Ich habe mich Hals über Kopf in einen lokalen TV-Star verliebt. Wir haben uns niemals persönlich gesehen, ich habe ihn nur auf dem Bildschirm und in seinen Rollen gesehen. In den letzten beiden Monaten habe ich mich mit niemandem verabredet, weil im Vergleich zu ihm alle Männer kindisch sind. Nichts interessiert mich mehr. Ich kann nicht schlafen, und mein Job langweilt mich. Bitte, geben Sie mir einen Rat« (Horton & Wohl, 1956, S. 227, eigene Übersetzung). Die Antwort der Kolumnistin Ann Landers war ziemlich ruppig: »Ich weiß ja nicht, was Sie auf dem College lernen, aber beim Kurs ›Alltagswissen‹ sind sie durchgefallen. Sie haben sich in ein Stück Film verliebt, das genauso unrealistisch ist wie ein Bild an einer Wand. Die Person, nach der sie so verrückt sind, ist ein künstlicher Charakter, und jede Ähnlichkeit zwischen ihr und einem realen Mann ist absolut unwahrscheinlich« (a.a.O., S. 227, eigene Übersetzung).
    Schon früh – in den 50er Jahren – gab es in den USA Sendungen, die diesen Effekt ausgenutzt haben. In der Radiosendung The Lonesome Gal sprach allabendlich eine warme, erotische weibliche Stimme Monologe für die männlichen Hörer: »Liebling, Du siehst heute so müde und besorgt aus ... Du machst dir Sorgen, ich fühle es. Liebster, du brauchst ein wenig Ruhe, ... Ruhe und einen Menschen, der dich versteht. Komm zu mir, leg dich aufs Sofa und entspanne dich. Ich will dein Haar zärtlich streicheln ... Ich bin bei dir, jetzt und für immer. Du bist nie alleine, du darfst niemals vergessen, daß du alles für mich bedeutest, und daß ich nur für dich lebe, ich, dein Lonesome Gal« (Horton & Wohl, 1956, S. 224, eigene Übersetzung). Im Fernsehen trat seinerzeit allnächtlich um ein Uhr für fünf Minuten eine Miss Nancy Berg auf, die dabei gezeigt wurde, wie sie in einem reizvollen Neglige ihr Schlafzimmer betrat, sich reckte und streckte, mit ihrem Pudel spielte und anschließend in ihr Bett ging, nicht ohne ihren späten Zuschauern noch ein verschlafenes »Good night« zuzuflüstern.
    Ein weiteres und besonders anschauliches Beispiel für solche intensiven parasozialen Beziehungen berichtet wiederum der eingangs zitierte Günther Anders: »Mir sind in den Vereinigten Staaten eine Anzahl vereinsamter alter Damen bekannt, deren Kreis, also deren ›Welt‹, sich ausschließlich aus solchen nicht existenten Wesen zusammensetzt. An deren Ergehen nehmen die Damen einen so lebhaften Anteil, daß sie, wenn eines dieser Phantomfamilienmitglieder stirbt, oder eines sich gar verlobt, um ihren Schlaf gebracht sind ... Für ihre Phantome stricken sie im Winter Handschuhe; und ist gar ein Phantombaby unterwegs, dann türmen sich in den Rundfunkhäusern Pakete voll Säuglingswäsche, gehäkelten Jäckchen und Häubchen an, die dann hinter dem Rücken der betrogenen Spenderinnen an zwar völlig unbekannte, aber doch immerhin wirkliche Babys in Heimen, weitergegeben werden« (a.a.O., S. 144f.).
    Da hier von Rundfunkhäusern die Rede ist, werden die alten Damen vermutlich auf die frühen Serien im Radio reagiert haben. Die erste regelmäßige Sendung dieser Art hieß Ma Perkins, sie wurde 1933 von der Waschmittelfirma Procter & Gamble produziert. Da sie und ihre vielen Nachfolger von Waschmittelwerbung eingerahmt wurden, entstand dafür die Bezeichnung Seifenoper (vgl. Landbeck, 2002). Im Jahr 1947 ging in den USA die erste TV-Seifenoper über den Bildschirm, A Woman to Remember hieß sie. Eine andere Procter & Gamble- Produktion, The Guiding Light, ist die einzige Serie, die dauerhaft den Sprung vom Radio zum Fernsehen schaffte und seit 66 Jahren – von Januar 1937 bis heute – ununterbrochen in über zehntausend Folgen läuft. Sie wird übrigens auch noch immer von Procter & Gamble Productions hergestellt.
    Der große Erfolg der amerikanischen Seifenopern ließ weitweit Nachfolger und Varianten entstehen. In Deutschland waren es zunächst vergleichsweise betuliche Familienserien wie Die Schölermanns, Die Hesselbachs oder Die Unverbesserlichen. Anfang der 80er Jahre aber brachen Dallas und Der Denver Clan als eine Art Bugwelle (Hickethier, 1998, S. 463) alter und neuer amerikanischer Serien über

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