0003 - Achterbahn ins Jenseits
Upfield. Reddy konnte seinen Arbeitsplatz praktisch zu Fuß erreichen.
An diesem Freitag machte er in ganz besonders froher Laune Feierabend. Er wollte mit seiner Frau zur Eröffnung des Rummelplatzes gehen. Reddy – er war einer der letzten, die den Platz verließen – traf noch auf den Nachtwächer. Der alte Knabe kam angeradelt und winkte Carruthers zu.
»Dann mach’s mal gut«, rief Reddy.
»Auch zum Jahrmarkt?« fragte der Nachtwächter.
»Ja.«
»Viel Vergnügen.«
»Danke.«
Es waren fast immer die gleichen Worte, die die beiden wechselten. Dabei brauchte der Nachtwächter nicht einmal vom Fahrrad zu steigen.
Reddy ging zu Fuß. Seit der Geschichte damals war er ernster und verschlossener geworden. Nachts kamen oft die bösen Träume. Dann schreckte Reddy plötzlich aus tiefem Schlaf hoch, saß schweißgebadet im Bett und sah die Hand wieder auftauchen.
Reddys Frau Margret hatte Verständnis für ihren Mann. Sie erwähnte die gräßliche Geschichte von damals mit keinem Wort, und meistens beruhigte sich Reddy auch wieder ziemlich schnell.
Er wohnte mit seiner Frau in einem kleinen Haus zur Miete. Es war ein altes Gebäude mit winzigen Räumen und noch ohne Heizung. Das störte Reddy nicht. Dafür hatte er einen großen Garten, der Gemüse und Obst brachte.
Margret Carruthers wartete schon auf ihren Mann. Sie stand in der Haustür und rief: »Endlich.«
Reddy grinste. »Was hast du? Ich bin nicht später als sonst.«
»Es kommt mir aber länger vor.«
Reddy hauchte seiner Frau einen Kuß auf die Wange. »Gut siehst du aus, Darling«, sagte er.
Sie errötete leicht. Margret Carruthers war keine Schönheit, wie man sie in Werbefilmen und in Katalogen findet. Sie war eine normale Frau, die alle Höhen und Tiefen des Lebens mitgemacht hatte. Das blonde Haar trug sie kurzgeschnitten. Sommersprossen bildeten ein lustiges Muster auf ihrer Haut. Die Augen waren von einem strahlenden Blau und die Stirn hoch und gerade.
»Komm, zieh dich um«, sagte Margret Carruthers. Sie nahm ihrem Mann die Tasche ab.
Reddy ging ins Haus. Er betrat das im ersten Stock liegende Schlafzimmer, schlüpfte in eine leichte Sommerhose, zog ein Polohemd an und warf sich einen Blouson über den Arm.
Margret wartete schon unten.
»Die Waynrights gehen nicht mit«, rief sie. »Ihre Kleine ist plötzlich krank geworden.«
Reddy schloß die Schlafzimmertür. »Pech.«
Er ging nach unten. »Hast du genug Geld eingesteckt?«
Margret nickte. »Für einige Bier im Zelt wird es schon reichen.«
»Und für eine Fahrt auf der Achterbahn«, sagte Gaylord Carruthers. Seine Augen strahlten. »Mein Gott, wie lange bin ich nicht mehr mit solch einem Ding gefahren.« Er legte seinen Arm um Margrets Schulter. »Und du wirst die Fahrt zum erstenmal machen. Sie wird dir gefallen, glaube mir.«
Margret preßte sich gegen ihren Mann.
»Ich danke dir, Reddy«, sagte sie. Arm in Arm verließ das Ehepaar Carruthers das Haus. Beide ahnten nicht, daß sie dem Tod in die Hände liefen…
***
Ein übergroßes Skelett neigte grinsend den Kopf. Das geschah in der Minute fünfmal, und bei jedem Nicken steckte der Knochenmann die Hand aus und ließ die skelettierten Finger dicht über die Köpfe der Zuschauer gleiten. Aus zwei Lautsprechern drang dabei ein gellendes Gelächter. Gleichzeitig flammte der Preis für eine Eintrittskarte auf der Geisterbahn über dem Kassenhäuschen auf.
John Sinclair sah dem Schauspiel grinsend zu.
Die Geisterbahn hatte wirklich noch nichts von ihrer Attraktivität verloren. Die Menschenschlange an der Kasse bewies es.
John Sinclair hatte Suko mitgenommen. Er und der Chinese hatten sich jedoch getrennt. Sie wollten sich wenig später wieder treffen und vereinbarten deshalb einen Treffpunkt. John hatte den Chinesen eingeweiht. Jeder sollte für sich die Augen offenhalten und, was ihm verdächtig vorkam, unbedingt melden.
Es herrschte ein Mordsbetrieb auf dem Rummelplatz. Unzählige Lichter glänzten. An den Schießbuden drängten sich die Menschen. Die Karussells waren ständig besetzt. Lange Schlangen hatten sich an den Kassen gebildet. Die neuesten Hits drangen aus den Lautsprechern. Sie übertönten die heiseren Stimmen der Anreißer und der Losverkäufer.
Das Riesenrad drehte sich fast ununterbrochen. Voll besetzt waren die Gondeln. Bunte Glühbirnen leuchteten in allen Farben des Spektrums. Der Duft von gebratenem Fisch und Eßkastanien schwängerte die Luft. Kinder lutschten an ihrem Eis oder kauten Popcorn.
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