0015 - Ich starb um elf Uhr zwanzig
kostenlos ins Jenseits zu befördern, und trotzdem ist es noch keinem gelungen. Warum sollte es ausgerechnet diesmal gut gehen?«
»Du bist ein unverbesserlicher Querkopf!«
»Stimmt. Beinahe wie du. Bis gleich!« Ich drückte die Tür hinter mir zu u ad ging zu Mister Highs Büro. Unterwegs sah ich zufällig auf die große elektrische Normaluhr, die im Korridor hängt. Es war ein paar Minuten vor elf Uhr vormittags. Mit gemischtem Gefühl trat ich bei Mister High ein. Unsere Ermittlungen waren nicht so gelaufen, daß ich greifbare Resultate bringen konnte, und das wurmt einen Polizisten immer.
»Setzen Sie sich, Jerry!« sagte Mister High in seiner ruhigen Art. »Ich möchte etwas mit Ihnen besprechen.«
»Ja?«
»Sie wissen ja selbst, Jerry, daß heute diese Frist von drei Tagen abläuft, die die Gangster Ihnen gestellt haben.«
»Ja, Chef. Ich sprach gerade mit Phil darüber.«
»Und was meinte Phil dazu?« fragte Mister High. Auf seinem Mund lag die Spur eines winzigen Lächelns. Er kannte Phil schließlich genausogut wie ich.
»Phil wünscht natürlich, daß ich mich dünnmachte. Er sagt, ich soll für ein paar Tage aus New York verschwinden.«
»Und was halten Sie davon?«
Ich holte tief Luft.
»Hören Sie, Chef: Ich bin ein G-man, nicht? Bin ich vielleicht ein schlechterer G-man als meine Kollegen?«
»Aber nein, Jerry, ganz im Gegenteil!«
»Na also! Hat jemals ein G-man die Flucht ergriffen, wenn ein paar Gangster hinter ihm her waren?«
»Jawohl, Jerry! Nicht einmal, sondern hundert- und tausendmal! Immer dann, wenn er einer unbesiegbaren Übermacht gegenüberstand und Widerstand sicherer Selbstmord war. Wenn seine Chancen wie hunderttausend gegen eins standen! Merken Sie sich das ruhig, Jerry: Tapfer sein, das heißt doch nicht, absichtlich ins sichere Verderben zu rennen! Wenn unsere Leute mit solchen Ansichten herumlaufen wollten, dann hätten wir innerhalb von sechs Monaten keinen lebenden Polizisten mehr in den Staaten!«
Ich preßte meine Hände gegeneinander und musterte wütend das Ornament auf dem Teppich. So erregt hatte ich Mister High noch nie gesehen. Er fuhr fort, wurde jetzt allerdings ruhiger:
»Jerry, verstehen Sie mich recht: Sie wissen, daß ich Sie gern habe. Aber das kann mich auch als Ihren Vorgesetzten nicht zwingen, Ihnen jede Torheit zu gestatten, die Sie sich aussuchen! Sie wissen genau, daß Sie gegen dia Bande keine Chance haben! Ich Labe Ihnen diese drei Tage Zeit gelassen, weil ich hoffte, es würde in dieser Frist möglich sein, den Leuten so weit auf die Spur zu kommen, daß wir wenigstens ein Mitglied der Bande verhaften könnten. Von dem hätten wir uns schon die Anschriften der anderen geben lassen. Aber das war eben nicht möglich. Jetzt gibt es nur noch zwei Möglichkeiten: entweder ich setze ein Heer von G-men zu Ihrer Bewachung ein — oder Sie verlassen New York vorübergehend zu einem kurzen Urlaub. Da ich nicht einen G-man wie einen kostbaren Diamanten bewachen lassen kann, weil ich weiß Gott für solche Aufgaben nicht auch noch Leute erübrigen kann, bleibt also nur die Möglichkeit Ihres Urlaubs.«
Er schwieg.
Ich auch. Was sollte ich sagen? Mir saß ein Kloß im Halse, so groß, wie es sie nur in den bayrischen Speiserestaurants im Deutschenviertel gibt.
Nach einer Weile hatte ich mich wieder beruhigt und machte einen schüchternen Versuch:
»Mister High«, sagte ich zögernd.
»Es ist sinnlos, mich umstimmen zu wollen«, wehrte er ab. »Sie sind sich vielleicht gar nicht darüber im klaren, welche Gefahren Sie umgeben. Von heute an kann aus jedem Fenster, aus jeder Tür, aus jedem Auto eine tödliche Salve auf Sie abgefeuert werden. Sie dürfen keine Minute mehr schlafen, wenn Sie nicht Ihr Leben riskieren wollten, Sie dürfen nichts mehr essen, wovon Sie nicht selbst gesehen haben, daß es unmöglich vergiftet worden sein kann — und so fort. Das können weder Sie noch ich verantworten, Jerry. Ich brauche Sie noch, deshalb muß ich Ihnen jetzt den dienstlichen Befehl geben, sofort New York zu verlassen. Ich habe der Lohnkasse schon Anweisung gegeben, Ihnen den nächsten Monatslohn im voraus auszuzahlen. Ich nehme an, Jerry, daß Sie sich meinem Befehl nicht widersetzen werden. Innerhalb von einer Stunde wünsche ich, daß Sie nicht mehr in New York sind. Und ich verbiete Ihnen auch, vorher noch einmal Ihre Wohnung aufzusuchen, Jerry.«
Na schön. Ich hätte am liebsten geweint wie ein kleines Kind. Vor Wut. Verdammt noch mal, so etwas
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