0020 - Der Mord, der mir den Atem nahm
Schweigen.
»Sie — Sie wünschen?« stotterte er unsicher.
Ich betrachtete intensiv die Spitzen meiner Finger. Ganz leise und wie nebensächlich fragte ich ihn:
»Wo waren Sie gestern in der Zeit zwischen neun Uhr fünfundvierzig und zehn Uhr dreißig vormittags, Mister Bronnings?«
Die Wirkung glich einer Bombe.
Er wich entsetzt zurück, bis ihm die Front eines riesigen Kleiderschrankes den weiteren Rückzug versperrte. Seine Hände hatten sich abwehrend erhoben und mit bebender Stimme rief er:
»Ich war zu Hause! Ich war zu Hause! Ich war hier in meinem Zimmer! Ich war zu Hause!«
»Hören Sie auf mit dieser Litanei«, sagte ich ungerührt. »Das glaubt Ihnen ohnehin kein Mensch.«
Er schwieg.
Ich stand auf und trat vor ihn hin. Als fürchte er geschlagen zu werden, hob er seine Arme vor sein Gesicht. Völlig grundlos, denn ich hätte dieses Männchen nie berührt.
»Bronnings«, brummte ich ernst, »jetzt geben Sie es auf, mir verdammte Lügengeschichten vorzusetzen! Sie haben in der Firma Unterschlagungen begangen, das wissen Sie so gut wie ich. Und gestern früh sind Sie in der fraglichen Zeit in der Nähe der Villa Ihres Chefs gesehen worden. Also?«
Das war natürlich nichts als ein plumper Bluff, aber manchmal wirkt so etwas. Und hier wirkte es.
Er nickte geschlagen.
»Ja, ich war da…«, sagte er müde. »Ich war’da. Sie haben recht.«
Und dann erzählte er mir eine sehr interessante Geschichte. Darüber verging fast eine Stunde. Als er fertig war, stand ich auf und sagte:
»Haben Sie die Absicht, die Stadt in den nächsten Tagen oder gar schon heute zu verlassen?«
»Nein, ich bleibe hier.«
»Das ist auch besser für Sie. Vergessen Sie nicht, daß der moderne Fahndungsapparat der Polizei ausgezeichnet läuft. Bleiben Sie heute hier in Ihrem Zimmer. Das Essen werden Sie sich sicher besorgen lassen können. Wenn Sie einen Fluchtversuch unternehmen, garantiere ich Ihnen für nichts.«
Er beeilte sich, mir erneut zu versichern, daß er ganz bestimmt bleiben würde. Ich ging. So kompliziert der Fall zuerst gewesen war, so einfach entpuppte er sich jetzt.
***
Ich fuhr zur County Bank Incorporation. Über eine Stunde lang unterhielt ich mich mit Bankdirektor John Maters. Dieses Gespräch gab mir die letzte Gewißheit.
Es war kurz vor zwölf, als ich die Bank wieder verließ. Ich setzte mich in einen Drugstore und improvisierte ein hastiges Mittagessen. Bis ein Uhr würde ich Mister High noch im Office antreffen können. Wenn ich das schaffen wollte, mußte ich mich beeilen.
Vier Minuten vor ein Uhr stand ich vor der Tür meines Chefs und klopfte. »Come in!« rief seine Stimme.
Ich drückte die Tür auf und ging hinein.
»Hallo, Jerry!«, sagte Mister High. »Nehmen Sie Platz. Was gibt es? Brauchen Sie noch länger Urlaub?«
Ich lächelte und hob meinen Arm. »Nicht nötig, Chef. Es geht schon wieder ganz gut. Morgen früh bin ich wieder im Office.«
»Freut mich, Jerry. Ich habe einen interessanten Fall für Sie. Aber das kann ich Ihnen morgen früh noch erzählen. Hat Ihnen Ihr Urlaub etwas genützt?«
»O ja. Wenn Sie mir eine Hilfestellung leisten können, gibt es heute abend in unserer Stadt einen Mörder weniger.«
Er zog die Augenbrauen zusammen. Langsam und vorsichtig seine Worte setzend fragte er:
»Soll das heißen, daß Sie diesen Fall Haters in Ihrem Sinne geklärt haben? Ich habe mich inzwischen von der Mordkommission der Stadtpolizei informieren lassen, und ich muß Ihnen ehrlich sagen, Jerry: Ich halte die Frau für schuldig.«
Ich rieb mir die Hände. Mister High lächelte und fuhr fort:
»Sie scheinen sich diebisch darüber zu freuen, daß Sie uns alle mal kräftig reinlegen können.«
Ich wehrte ab:
»Nein, Chef, das ist es wirklich nicht. Ich freue mich für die Frau.«
»Na gut. Was kann ich für Sie tun. Jerry?«
Ich schob ihm einen Zettel über den Tisch, den ich im Wagen schnell gekritzelt hatte.
»Könnten Sie für heute nachmittag eine Tatortbesichtigung erwirken mit all den Leuten, die ich Ihnen hier aufgeschrieben habe?«
Er las die Namen durch und sagte dann:
»Ich könnte es natürlich durchsetzen, wenn ich die Autorität des FBI ins Gewicht werfe. Wir haben Vorrang vor allen anderen Polizeiorganisationen in den Staaten, das wissen Sie, Jerry. Aber die Stadtpolizei wird nicht sehr erbaut sein, daß wir in eine Sache über ihren Kopf hinweg eingreifen, die von ihr selbst noch bearbeitet wird. Augenblick, ich will mal hören, wie weit die
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