0023 - Wir faßten in ein Wespennest

findet, der bringe ihn sofort zu Mister Cotton vom Federal Bureau of Investigation«, stand in ungelenker Schrift darauf. »Eilig. Sehr wichtig. Es geht um ein Verbrechen! - Mister Cotton. Ich glaube, die Gangster sind hinter mir her. Ein Wagen verfolgt mich. Wenn ich heute Abend um sieben nicht kommen kann, suchen Sie am Pier achtzehn im Frachthafen. Dort steht ein alter Lagerschuppen. Die Gangster hatten mich schon einmal dort, als sie mit mir über die erpressten Gelder verhandeln wollten. Bitte, Mister Cotton, beten Sie für mich. Wenn sie gesehen haben, dass ich mit Ihnen gesprochen habe, bringen sie mich um. Ich darf nicht mit einem Polizisten sprechen. Ich schreibe diesen Zettel auf einer Klosettanlage. Es ist die einzige Möglichkeit, einen Augenblick unbeobachtet zu sein. Helfen Sie den Zeitungsboys! Ihr Ben Lodgers.«
    Ich ließ langsam den Zettel sinken. Fünf Meter weiter hatte Bens Leiche gelegen. Verdammt, warum hatte die Mordkommission nicht auch die Taurollen umgedreht?
    Solche Überlegungen waren jetzt sinnlos. Ich stand auf. Meine Pistole saß locker. Den Zettel steckte ich ein. Okay, Ben. Wenn die Toten reden, werde ich gehorchen. Pier achtzehn. Der Nachbarpier. Lagerschuppen. Okay, Ben. Ich komme ein bisschen spät, aber ich komme. Und ich werde jetzt einem Mann die Hand auf die Schulter legen, der für deine Ermordung zuständig ist.
    Und eins schwöre ich dir, Ben: Dieser Mann kommt auf den elektrischen Stuhl. Ganz egal, was passiert. Ganz egal, was er anstellt, um mich loszuwerden. Keine Kugel für diese Bestie. Keine ehrliche Kugel. Hywood, Phil und ich - wir haben uns, das schon längst versprochen: keine Kugel. Nur den elektrischen Stuhl.
    Ich ging ohne die leiseste Vorsichtsmaßnahme hinüber zum Pier achtzehn. Ich war in einem Zustand der Erregung, den ich nicht beschreiben kann. Es war, als hätte sich in meinem Gehirn etwas festgebissen. Hooland war in Reichweite. Der tote Ben hatte uns seine Spur geliefert. Jetzt gab es kein Zurück mehr.
    Ich stieg über die Taurollen. Langsam setzte ich einen Fuß vor den anderen. Der Hut saß mir weit im Genick, der Mantelkragen stand offen. Meine Augen waren zwei schmale Schlitze geworden, die einen alten Lagerschuppen suchten. Nichts anderes interessierte mich mehr.
    Nur ein alter Lagerschuppen auf Pier achtzehn.
    Ich kam an einem Verladekran vorbei. Sein mächtiges Stahlgerüst reckte sich wie der Körper eines technischen Lebewesens gegen den Himmel. Am Rand des Piers schepperte leise das Wasser. Glucksend und gurgelnd schlug es gegen die Kaimauer.
    Warenballen stapelten sich. Ich umging sie. Bretter lagen herum. Ich kletterte darüber. Die Gleise der Hafenbahn glänzten metallen im Sonnenlicht. Wolkenfetzen huschten über den Himmel.
    Vor mir standen sechs hohe, geschlossene Güterwagen auf den Schienen. Ich ging an dem kleinen Zug entlang. Als ich vor der Lokomotive über die Gleise bog, stand er plötzlich vor mir. Nicht Hooland. Nein. Kenneth Brutty. Der junge Bursche, der um jeden Preis hatte Zeitungsboy werden wollen. Und hinter seinem Rücken war die fensterlose Front eines alten Lagerschuppens.
    Plötzlich begriff ich alles. Deshalb also hatte der Kerl Zeitungsboy werden wollen. Er gehörte zu Hoolands Bande und wollte sich in die Organisation der Zeitungsboys einschleichen, indem er selbst Zeitungsboy wurde. Daher auch die Unterrichtung der Gangster über das heimliche Treffen der Boys in der Garage. Oh, warum hatte ich nicht früher an diese Möglichkeit gedacht.
    Sein Gesicht war blass. Meins auch. Aber nicht aus Angst.
    »Lass die Hand von der Kanone, Kenneth Brutty«, warnte ich. »Euer Spiel ist aus.«
    Er biss die Zähne aufeinander, dass es knirschte. Seine Augen sahen an mir vorbei. Warum? Hatte ich schon irgendwelche Gangster umgangen? Befanden sich jetzt einige von Bruttys Komplicen in meinem Rücken? Durfte ich mich umdrehen?
    Unmöglich.
    In der Sekunde, da ich mich umdrehte, hatte Brütty seine Chance, die Kanone zu ziehen.
    »Wir sind noch lange nicht am Ende«, zischte der jugendliche Gangster. »Sie hätten nicht allein kommen dürfen, Mister Cotton.«
    Verdammt, woher wusste er es?
    Natürlich, er brauchte ja nur über meine Schultern zu blicken, um zu sehen, dass ich allein war. Ich Narr. Ich benahm mich schlimmer als der dümmste Anfänger beim FBI.
    »Sie wollen doch sicher zu Hooland, nicht?«, höhnte Brutty. Seine gelben Zähne bleckten mich hämisch an.
    »Erraten.«
    »Na, kommen Sie doch, Ich führe Sie gern