0035 - Die Vampirfalle
Mond hatte freie Bahn und konnte sein fahles Licht auf die Erde streuen. Und auf einen alten Friedhof.
Ich sah Grabsteine in unregelmäßigen Abständen aus der feuchten Erde ragen, Trauerweiden, Pappeln, Büsche und einen umgekippten Reisebus. Ein Bus in dieser Gegend?
Sollten die Blutsauger noch weitere Opfer an diesen gottverlassenen Ort gelockt haben?
Ich spürte den Kloß, der plötzlich in meinem Magen lag. Wenn die Annahme stimmte, dann besaßen die Untoten weitere Trümpfe, und meine Situation verschlechterte sich dadurch. Der Leichenwagen fuhr jetzt in eine Rechtskurve und wurde quer über den alten Friedhof gesteuert. Ein Kuppelbau geriet in mein Blickfeld. Irgendwie erinnerte er mich an eine Sternwarte, die ich mal besichtigt hatte. Das Dach schimmerte grünlich im Mondlicht, während die Mauern schwarz und verbrannt aussahen. Vielleicht war dieser an eine Sternwarte erinnernde Kuppelbau die Leichenhalle des Friedhofs. Wenn ja, konnte ich mir ein idealeres Versteck für die Blutsauger nicht vorstellen. Der Leichenwagen stoppte.
Türen klappten, die Vampire stiegen aus. Ein Schlüssel kratzte im Schloß der hinteren Tür. Sie wurde hochgeklappt. »Aussteigen!«
»Wurde auch Zeit, denn sehr bequem ist es in dieser Karre wahrhaftig nicht!«
»Du wirst bald noch viel unbequemer liegen, Sinclair!« zischte man mir ins Gesicht.
Ich wußte nicht, ob der Kerl, der die Worte gesprochen hatte, Gorum oder Vlado war. Auf jeden Fall faßte er nach meinem Arm und wollte mich rausziehen. Ich schlug ihm auf die Pfote.
»Keine Angst, ich bin noch gelenkig genug und lasse mich nicht von jedem anfassen!«
Der Vampir wollte sich auf mich stürzen, überlegte es sich aber im letzten Augenblick und trat zur Seite.
Der andere sagte: »Da hinein!« und deutete auf den Kuppelbau. Ich schritt los. So sicher, wie ich mich gab, fühlte ich mich wahrhaftig nicht. In wenigen Minuten würde ich D. Kalurac, der sich selbst als Draculas Neffe bezeichnete, gegenüberstehen. Und dann würde es sich zeigen, wer der Stärkere war. Er oder ich!
***
Zuerst begriffen die beiden Mädchen gar nicht richtig, wer in den Särgen lag. Zu schlimm war der Schock. Christine packte es zuerst. Sie stöhnte auf, begann am gesamten Körper zu zittern. Ihre Knie gaben nach, und dann fiel sie mit einer spiralförmigen Bewegung zu Boden. Christine wurde bewußtlos.
Karen half ihr nicht. Vielleicht hatte sie auch gar nicht mitbekommen, was mit ihrer Freundin geschehen war. Sie starrte nur unverwandt auf die beiden Särge. »Barry – Robby…«, hauchte sie.
Zögernd trat sie einen Schritt vor, dann noch einen. Ein von wildem Schmerz geprägter Ausdruck zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab. Hilflosigkeit und Angst waren in ihren Augen zu erkennen.
Aber hier hatte niemand Mitleid.
Auch nicht Rebecca. »Sieh sie dir genau an«, zischte sie leise in Karens Ohr. »Sie werden bald zu uns gehören, sie sind ebenso in unsere Falle gelaufen wie ihr.«
Karen begriff. Sie wandte den Kopf, so daß sie in Rebeccas Gesicht schauen konnte.
Die rothaarige Untote lächelte. Und jetzt zog sie die Lippen zurück. Dabei zeigte sie nicht nur ihre normalen, prächtig gewachsenen Zähne, sondern auch die beiden Vampirhauer, die weit überstanden und glänzten. »O nein«, ächzte Karen.
Rebecca lachte widerlich. »Ja, meine Liebe, du bist hier von Vampiren umgeben. Du, deine Freundin und die beiden bewußtlosen Männer. Ihr seid freiwillig gekommen, uns direkt in die Arme gelaufen, und wir werden dieses Glück voll ausnutzen.«
Karen schluckte. Sie wunderte sich, daß sie noch nicht ohnmächtig geworden war, und sie konnte sich nicht erklären, woher sie überhaupt noch die Kraft fand, sich so zu beherrschen. »Ihr – ihr wollt uns alle zu Vampiren machen?« stammelte sie.
»Das hatten wir vor.«
»Aber – es gibt doch keine Vampire. Das sind doch Phantasiegeschöpfe. Vampire erscheinen immer nur in Romanen oder Filmen. Ihr – ihr habt euch verkleidet.«
»Du denkst wie alle Menschen. Arrogant und überheblich. Aber laß dir gesagt sein, es gibt uns. Und wir werden immer mehr, stündlich, täglich. Bald beherrschen wir das Land, dann einen ganzen Erdteil, später die ganze Welt. Das ist unser Ziel, und wir werden es erreichen, das schwöre ich dir beim Anblick des Schwarzen Grafen.«
Karen wollte noch eine Frage stellen, doch in diesem Augenblick begann sich Robby zu bewegen. Robby, Karens Verlobter.
Er stöhnte, öffnete die Augen und richtete sich auf.
Weitere Kostenlose Bücher