0042 - Der Totenbeschwörer
geheißen.
Plötzlich wischten drei blitzende Peitschenschnüre aus der Öffnung. Wie Schlangen ringelten sie dicht über dem Boden und schienen ein Eigenleben zu führen.
Myxin erklärte die Bedeutung der Peitsche. »Wenn du einen Dämon oder einen Untoten damit schlägst, so vergeht er oder wird in eine andere Dimension geschleudert. Bekommt jedoch ein Mensch die Peitsche zu spüren und ist nicht magisch geschützt, so wird er sterben.«
Die Frau hob die Peitsche wieder an, und die Schnüre glitten zurück. Sie spürte, daß diese Waffe magisch aufgeladen war. Ein seltsames Kribbeln drang durch ihre Hand, und sie glaubte fest daran, daß Myxin die Wahrheit gesprochen hatte.
»Damit bin ich unbesiegbar«, sagte sie.
»Ja«, erwiderte Myxin, »das bist du. Verstecke die Waffe gut. Setze sie nur ein, wenn die anderen gefährlich werden.«
Elisa nickte.
Myxin deutete auf das Haus. »Geh jetzt, sie warten alle auf dich!«
Und die Frau schritt davon. Schon bald hatte die Dunkelheit sie verschluckt. Keiner ahnte, welch eine lebende Zeitbombe auf das Haus zukam.
***
Ich hatte wieder die Spitze übernommen und jagte den Weg zurück, den ich schon gekommen war. Mein Herz hämmerte einen Takt schneller. Es war die Angst um Jill, die mich so vorantrieb. Denn sie war ein Mensch und kein Dämon.
Ich wollte sie retten! Freiwillig würde ich es nie zulassen, daß sich ein Diener der Finsternis einen Menschen Untertan machte. Nicht, wenn ich in der Nähe weilte.
Und hier war ich dicht am Ball.
Der letzte Treppenabsatz!
Mit drei langen Sätzen stürmte ich ihn hoch, stand in dem Gang, von dem aus die Zimmer abzweigten, und ich hörte aus Jills Raum ein widerliches Geräusch, das mir sehr bekannt vorkam.
Schmatzen…
Der Nachzehrer war da.
Ich stürmte in das Zimmer hinein.
Unbewaffnet, denn meine mit Silberkugeln geladene Beretta und unser Einsatzkoffer befanden sich im Wagen. Wenn es nicht anders ging, ließ ich mich auch mit bloßen Fäusten auf einen Kampf ein.
Eine ausgemergelte Gestalt stand neben Jills Liege. Sie wandte mir den Rücken zu und hatte den Kopf gesenkt. Die Schmatz- und Schlürfgeräusche widerten mich an.
Ich sprang vor, grub die Finger meiner rechten Hand in die kalte Schulter des Nachzehrers und wuchtete ihn herum. Ich hatte soviel Kraft hinter diese Aktion gelegt, daß der Kerl weit zurückgeschleudert und erst von der Wand gestoppt wurde.
Er fiel mit der Frontseite dagegen, drehte sich aber und starrte mich an.
Ich hatte zuvor einen raschen Blick auf Jill Hanson geworfen und mich davon überzeugt, daß die Fesseln noch genauso stramm saßen wie zuvor.
Jetzt wandte ich mich dem Nachzehrer zu.
Zum erstenmal in meinem Leben sah ich solch ein Geschöpf vor mir. Eine Mischung zwischen einem Toten, Scheintoten und Vampir.
Sein Mund klaffte weit auf. Gurgelnde Laute drangen zwischen den roten Lippen hervor. Auch die Augen waren weit aufgerissen und rot umrändert. Er hatte die Arme halb erhoben und die Finger gespreizt. Die langen Nägel sahen aus wie Dolche, liefen vorn nadelspitz zu, und ich dachte an die Geschichten, die man sich über Tote erzählte, bei denen im Grab die Fingernägel noch nachwuchsen. Wirr hing das Haar auf seinem Kopf. Es war grau und strähnig und von Erdklumpen durchsetzt. Sein Leichenhemd – an einigen Stellen zerrissen – ließ die bleiche Haut durchschimmern, die sich eng über die Knochen des Mannes spannte. Er trug keine Schuhe, war barfuß gelaufen, und die Kälte hatte ihm nichts ausgemacht.
Wieder fuhr seine Zunge über die Lippen. Er produzierte dabei seine Schlürf- und Schmatzgeräusche.
Hinter mir – dicht an der Tür – standen Bill Conolly und Lester Hanson. Sie griffen nicht ein, sondern warteten die Auseinandersetzung zwischen dem Nachzehrer und mir ab.
»Was willst du hier?« sprach ich ihn an.
Seine Hand schnellte zur Seite. Der Zeigefinger deutete auf das liegende Mädchen.
»Sie will ich!« stieß der Nachzehrer hervor.
Jill bäumte sich in ihren Fesseln auf. Sie hatte den Kopf gedreht und schaute den alten Hanson an. In ihren Augen las ich den Willen, zu ihm zurückzukehren.
Das würde ich verhindern!
»Warum willst du sie haben?« Ich stellte die Fragen bewußt, denn ich wollte mir Klarheit verschaffen.
»Sie wird uns helfen!«
»Wer ist uns?«
Darauf antwortete der Nachzehrer nicht. Statt dessen ging er einen Schritt auf die Liege zu.
»Bleib stehen!« warnte ich.
Er schüttelte den Kopf und erhielt von Jill Hanson
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