0042 - Der Totenbeschwörer
Fremden unterhalten hatte. Und sie wußte jetzt, was im Haus los war.
Auf Zehenspitzen schlich sie die Stufen hinunter.
Lester stand vor dem Telefon. Er hatte das Buch aufgeschlagen, suchte nach seiner Brille, um endlich die Nummer der Gaststätte herauszufinden.
»Wen willst du denn anrufen?« fragte Elisa leise. Unhörbar hatte sie sich genähert.
Erschreckt wirbelte Lester herum. Er preßte seine Hand gegen das Herz und stöhnte: »Himmel, hast du mir einen Schrecken eingejagt. Da kann man ja direkt Angst bekommen.«
Die Frau winkte ab. »Sei nicht albern. Sag mir lieber, wen du anrufen wolltest.«
»Schon vergessen.«
Sie lächelte. »Dann ist ja alles gut, mein Lieber. Möchtest du etwas trinken? Soll ich dir einen Tee zubereiten?«
»Nein, danke.«
Lester Hanson ließ sich in einem Sessel nieder und schaute seine Frau forschend an.
»Ist was?« fragte sie.
Lesters Hand deutete auf ihren Kopf. »Du hast etwas im Haar! Einige Erdkrumen.«
Ihre Hand fuhr hoch, streifte durch die grauweißen Strähnen. Elisa lachte falsch. »Wie kommt das denn? Ich weiß gar nicht, wo ich mir das geholt haben könnte«, stieß sie aus, als sie die Dreckkrumen zwischen den Fingern spürte.
»Warst du auf dem Friedhof?« fragte Lester.
»Ich?«
»Ja, du.« Er stand auf. »Wo solltest du sonst deine Haare so verschmutzt haben?«
»Ach, hör doch auf. Ich bin ein paar Meter spazieren gegangen, das ist alles. Der Tag war auch für mich ziemlich anstrengend. Ich war müde und wollte deshalb frische Luft schnappen. Ich weiß nur nicht, was du für ein Aufhebens wegen dieser Sache machst.«
»Entschuldige, aber es ist in den letzten Stunden eben zuviel auf mich eingestürmt.«
Elisa lächelte. Sie strich ihrem Mann über das Haar. Lester hob seinen Arm und hielt ihre Finger fest. Dann drehte er den Kopf. Ihre Blicke trafen sich.
Lester vermeinte, den sonst warmherzigen Ausdruck in ihren Augen nicht mehr zu sehen, aber er konnte sich auch getäuscht haben. »Ich muß dir etwas sagen, Elisa.«
»So?«
»Ja – und es ist nicht ganz einfach, die Worte richtig zu formulieren.«
»Rede frei von der Leber weg«, sagte die Frau.
»Gut, auf deine Verantwortung.« Lester Hanson nickte. »Jill ist wieder da!«
»Nein!« Obwohl die Frau schon Bescheid wußte, spielte sie ihre Rolle ausgezeichnet.
»Doch, Elisa, sie ist wiedergekommen. Ganz plötzlich war sie hier. Und sie…«
»Wo war sie denn?«
Lester war über den Themenwechsel froh. »Das hat sie mir nicht gesagt. Sie war sehr müde und hat sich sofort hingelegt.«
Elisa rutschte von der Sessellehne, auf der sie gehockt hatte. »Ich gehe zu ihr.«
»Nein, nicht.«
Die Frau wandte den Kopf. »Warum nicht?«
»Weil sie schlafen möchte. Das mußt du doch verstehen, Elisa. Obwohl ich weiß, wie es in dir aussieht. Aber wir können morgen darüber reden.«
»Gut – morgen.«
Lester atmete tief ein. Der ganze Dialog mit seiner Frau kam ihm vor wie eine schlechte Komödie. Beide wußten sie etwas, sie sprachen auch darüber, nur berührten sie das Thema nicht direkt. Sie redeten um den heißen Brei herum.
Sie spielten sich etwas vor!
Auch wunderte es Lester Hanson, daß seine Frau nicht einmal nach den beiden Kindern gefragt hatte. Er sagte ihr dies auch.
Elisa schaute ihn nur groß an. »Die beiden sind doch in ihrem Zimmer.«
Sie gähnte. »Ich bin aber jetzt auch müde. Ich glaube, ich gehe zu Bett. Kommst du mit?«
Lester, der in Gedanken versunken war, schreckte hoch. »Nein, nein, geh nur. Ich bleibe hier sitzen. Werde vielleicht noch ein wenig lesen.«
»Dann gute Nacht, mein Bester.«
»Ja, gute Nacht.«
Elisa schritt zur Tür. Sie wandte sich nicht ein einziges Mal um. Lester sah deshalb nicht das hinterlistige Lächeln, das ihr Gesicht zu einer Fratze machte.
Sachte schloß Elisa die Tür. Sie ließ einen Mann zurück, dem es nicht gelang, seine Gedanken zu ordnen. Lester Hanson kam sich vor wie auf einem Pulverfaß, das jeden Augenblick in die Luft fliegen konnte.
***
Ich stellte den Kragen meines schwarzen Burberry höher, um Kinn und Hals vor dem kalten Wind zu schützen. Vom Nachmittag zum Abend hin waren die Temperaturen gefallen. Zum Glück fiel kein Schnee. Frostklar war der Abend.
Wir erreichten den Friedhof fast übergangslos. Nach wenigen Schritten schon bewegten wir uns zwischen alten Gräbern und untern den Ästen der Platanen.
Zahlreiche Grabstätten waren dem Erdboden gleichgemacht. In einigen Jahren sollten hier neue Gräber
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