0047 - Der Alptraum-Garten
Ich konnte meinen Blick nur zum Himmel hochwerfen. Und dort trieb der Wind die grauen Wolken wie ein Schäferhund die Herde.
Das Wasser wurde aufgewühlt. Hin und wieder klatschten Wellen über Bord und näßten Gesicht und Kleidung. Den Mund hatte man mir nicht geknebelt.
Ich nahm die Chance wahr und rief.
»He, Alter, was ist los? Weshalb entführst du mich?« Ich versuchte es auf die naive Tour, erhielt aber keine Antwort.
Die Beretta hatte mir der Kerl abgenommen. Ich merkte es daran, daß der Druck der vertrauten Waffe fehlte. Nur das Kreuz hing nach wie vor um meinen Hals, und darüber war ich heilfroh.
Seit ich wußte, welche Kräfte in dem magischen Talisman steckten, war mein Vertrauen in dieses Kruzifix viel größer geworden. Wenn ich die Namen der vier Haupterzengel rief, so vereinigten sich die Kräfte des Lichts zu einer immensen Waffe, die auch Dämonen der höheren Stufe das Fürchten lehrte.
Doch das Kreuz half mir in diesem Falle auch nicht viel, weil man mich auf ganz irdische und völlig normale Art und Weise gefesselt hatte.
Da es keinen Zweck hatte, irgendwelche Befreiungsversuche zu unternehmen, schloß ich ergeben die Augen und ließ mich in eine Art von Trance hineingleiten. Ich schaltete völlig ab und versuchte auf diese Weise, meine Schmerzen zu vergessen.
Suko hatte mir mal diesen Rat gegeben, und ich war ihm dankbar dafür.
Ich war erst wieder voll da, als der Kiel des Bootes bereits über den flachen Ufersand rieb.
Sofort öffnete ich die Augen.
Der Schiffsmotor verstummte. Nur noch das Rauschen des Windes war zu hören, das allerdings jetzt durch ein anderes Geräusch unterbrochen wurde.
Durch Schritte!
Sie kamen auf mich zu. Im nächsten Augenblick fiel ein Schatten über mich, und dann faßten zwei kräftige Hände unter meine Achseln, um mich hoch zuhieven.
Ich wurde hingestellt. In meinem Blickfeld lag die Insel mit dem fast undurchdringlich erscheinenden Wald, der hinter dem schmalen Uferstreifen begann. In meinem Nacken hörte ich das schwere Atmen des Alten, das plötzlich von einem hohlen Kichern unterbrochen wurde.
Und dann sagte der Kerl: »Bald ergeht es dir dreckig, Bursche. Warte nur.« Ich glaubte dem Alten aufs Wort.
Er schob mich voran. Auf die nach Steuerbord liegende Reling zu. Mit den Oberschenkeln stieß ich dagegen. Ich wußte, was kam und atmete sicherheitshalber tief ein.
Ich hatte mich nicht getäuscht.
Der Alte drückte fest gegen meinen Rücken und warf mich, als ich das Übergewicht bekam, kurzerhand von Bord.
Ich klatschte in das seichte Uferwasser, das sofort über mir zusammenschlug. Ich lag auf dem Bauch, mein Kopf befand sich unter Wasser, und meine Nase steckte im Schlick.
Mühsam wälzte ich mich auf die Seite. Dabei hielt ich immer die Luft an und lag schließlich auf dem Rücken.
Ich atmete ein paar Mal tief durch. Als eine Welle anrollte und mir über das Gesicht schwappte, drang Wasser in meinen Mund, so daß ich husten mußte.
Der Alte kicherte.
Er stand noch an Bord, hatte seine knochigen Fäuste auf die Reling gestützt und amüsierte sich. Ich wünschte ihn zum Teufel. Dann schwang sich der Kerl ebenfalls über Bord und platschte dicht neben mir ins Wasser.
Er bückte sich, umfaßte meinen Kragen und zog mich kurzerhand an Land wie einen alten Sack.
Jetzt fror ich erbärmlich, und bei dem Wetter konnte ich mir wer weiß was holen, zum Beispiel eine Lungenentzündung.
Mit den Hacken zeichnete ich Wellenlinien in den Uferschlamm. Ich hinterließ eine dicht nebeneinander liegende Doppelspur, und dann erreichten wir endlich den Waldrand.
Rein ging es in das verfilzte Unterholz.
Nicht nur für mich begann die Tortour, auch für den Alten, denn es gab keinen Pfad, über den er mich hätte schleifen können. Mit Dornen bewachsene Zweige griffen nach mir oder hakten sich fest. Der Alte mußte jedes Mal reißen, um mich los zu bekommen. Mein Mantel wurde ramponiert, und auch mit meiner Haut gingen die Stacheln nicht gerade freundlich um.
Ich fragte mich, wann die Tortur ein Ende hatte, als mich der Kerl einfach fallen ließ.
Atemlos lag ich auf dem Waldboden. Aber das Stoßen und Zerren hatte auch seine Vorteile gehabt. Durch irgendeinen Umstand hatten sich bei mir die Fußfesseln ein wenig gelockert, und ein winziger Hoffnungsfunke begann in mir aufzuflackern.
»Wie weit willst du mich noch schleppen?« fragte ich den Alten.
»Bis wir da sind.«
»Die Antwort hätte ich mir auch selbst geben können.«
Er hob den Fuß,
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