0064 - Im Zeit-Gefängnis
ihren Naturgesetzen. Zwar konnte Harras den Schmelzprozeß verfolgen, aber die Metalltropfen und das dabei entstehende Gas verhielten sich so, wie alle Gegenstände in dieser verrückten Welt.
Unendlich langsam nur, aber durch den im Sinne der normalen Zeitebene lichtschnellen Energiestoß doch merklich angetrieben, schwebten die weißglühenden Teilchen davon, um schon nach wenigen Metern ihre Geschwindigkeit wieder zu verringern.
Die zweite Kamera schmolz ab, dann die dritte, die vierte ...
Nach einer halben Minute war das Zerstörungswerk vollendet. Wenn die Fremden kein zweites Aufnahmeschiff besaßen, waren sie nun wieder blind.
Harras zögerte. Sollte er wieder zur Oberfläche hinabsteigen oder sollte er nicht lieber versuchen, das Schiff abzuschießen? Es bewegte sich kaum merklich und bedeutete an sich keine Gefahr für sie, aber vielleicht bot sein Inneres Hinweise auf den unbekannten Gegner aus der anderen Zeit. Sollte Rous entscheiden. Und Rous entschied: „Wenn Sie meinen, daß Sie ein empfindliches Teil treffen und zerstören können, versuchen Sie es, Harras. Vielleicht stürzt es wirklich ab. Dann bekommt Steiner endlich Arbeit."
Vielleicht am Heck, dachte Harras und bewegte sich vorsichtig um den silbern schimmernden Flugkörper herum. Er hütete sich, in den deutlich sichtbaren Treibstrahl zu geraten, der mit knapp vier Kilometern in der Sekunde aus den Linsen-Düsen drang. Was aber bedeuteten vier Sekundenkilometer gegen echte Lichtgeschwindigkeit?
Er segelte ein wenig zurück und zur Seite, hob die Waffe und richtete sie gegen das Linsensystem des Hecks. Dann drückte er auf den Feuerknopf.
Der Erfolg war deutlich sichtbar und entsprechend eindrucksvoll. Das Schiff explodierte. Es explodierte im Zeitlupentempo, zuerst noch mit einem halben Meter Ausdehnung pro Sekunde, dann langsamer. Es fiel Harras nicht schwer, den Trümmern auszuweichen, die dann, scheinbar leicht wie Daunenfedern, nach unten abzusinken begannen. Schließlich, eine halbe Minute nach der Explosion, schwebten die Trümmer in Form einer großen Kugelschale scheinbar bewegungslos in der Luft. Nur wenn man lange hinsah, bemerkte man, daß sie unendlich langsam nach unten fielen. Harras hörte in seinem Empfänger die Rufe seiner Gefährten, die das Schauspiel vom Boden aus beobachtet hatten. „Unglaublich...!" Das war zweifellos Steiner, der sich immer wieder über die optisch wahrnehmbaren Effekte der Zeitdehnung wundern konnte, obwohl er sie genau begriff.
„Kommen Sie zurück!" rief Rous besorgt. „Sonst erwischt Sie noch der rächende Energiestrahl des Mutterschiffes, falls es ein solches gibt."
„Wer sollte sonst auf uns geschossen haben?" sagte Harras und ließ sich seitwärts dem Boden entgegensinken. Er überholte dabei die Trümmer des Schiffes, die knapp zweihundert Meter von der Stelle entfernt landen würden, an der - in der eigenen Zeitebene - die Gazelle stehen mußte.
*
Währenddessen war Iwan Ragow nicht untätig geblieben.
„Man sollte es nicht für möglich halten", sagte Rous, als der Zoologe seinen Plan erläuterte, „daß die Zeit auch etwas mit der Gravitation zu tun haben soll! Wie sind Sie daraufgekommen, Ragow?"
Der Wissenschaftler lächelte fast schüchtern.
„Nun, der Zusammenhang ist nicht so deutlich wie bei Zeit und Raum, aber immerhin läßt er sich nicht ableugnen. Vergessen Sie auch nicht, daß meine Ansichten nur bloße Theorie sind. Erst die Praxis wird erweisen, ob sie stimmen. Wie ich daraufkam? Einfach! Ich überlegte, wie man das Beharrungsvermögen dieser versteinerten Raupen überwinden könne. Mit Energie allein geht es nicht, also muß etwas anderes herhalten. Warum nicht die Gravitation?"
„Recht haben Sie", gab Steiner zu und warf einen Blick nach oben, wo Harras damit beschäftigt war, der Hitzemauer nicht zu nahe zu kommen. Er sank mit vier Metern pro Sekunde herab. „Sie wollen also so einen Druuf in ein Antigravfeld nehmen und damit bewegen?"
„Genau!" bestätigte der Russe und hantierte an den Kontrollen seines arkonidischen Spezialanzuges.
„Außerdem werde ich noch meine Energieglocke bemühen. Vielleicht gelingt es mir, in ihr ein eigenes Zeitfeld zu erzeugen, falls Sie verstehen, wie ich das meine."
Die Männer sahen sich an. Rous schüttelte den Kopf.
„Ideen haben Sie schon, Ragow, das muß man Ihnen lassen. Ein eigenes Zeitfeld? Wollen Sie damit sagen, daß es unter Umständen möglich ist, die beiden verschiedenen Zeitebenen einander zu
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