0072 - Ich war kein Fraß für Tiger
Schluss der offiziellen Besuchszeit eintreffen. Aber selbstverständlich erwarten wir Sie ohne irgendeine Begleitung, sonst würde es gar nicht erst zu einer Verhandlung über die Fotos, sondern gleich zu deren Veröffentlichung kommen. Gehen Sie den Weg zum Raubtiergehege. Hinter der zweiten Weggabelung finden Sie links eine große Buschgruppe. Dort können Sie sich leicht bis nach Schluss der Besuchszeiten verbergen. Warten Sie, bis es sieben Uhr geworden ist. Dann gehen Sie zu dem Gehege der bengalischen Königstiger. Wenn Sie einmal an der Brüstung entlang gehen, werden Sie an einer Stelle eine Kanalöffnung in der Wand finden. Dort bleiben Sie stehen. Wir werden uns bei Ihnen melden. Bringen Sie kein Geld mit. Erst wird verhandelt. Ein wohlwollender alter Bekannter.
***
Das war der Text des Briefes. Leider war kein Umschlag mehr da, sonst hätte man feststellen können, in welchem Stadtteil der Brief eingeliefert worden war.
Meine Überraschung war vollkommen. Mit diesem Brief hatte sich die ganze Geschichte als eine der üblichen Erpressersachen entpuppt, für die ohnehin einzig das FBI laut Bundesgesetz zuständig ist.
Der Brief war mit einer Schreibmaschine auf gewöhnlichem Papier getippt worden. Ich holte eines der dafür bestimmten Formblätter heran und füllte es aus. Mit dem ausgefüllten Vordruck zusammen schob ich den Brief in einen großen Umschlag und adressierte ihn an das Hauptquartier des FBI in Washington. Betrifft: Untersuchung der Schreibmaschinenschrift…
Mit dem Umschlag ging ich in unsere daktyloskopische Abteilung.
»Hallo, Bill«, sagte ich zu Bill Stone, der heute den Sonntagsdienst hatte.
»Hallo, Jerry«, erwiderte er. »Na, was treibt dich am heiligen Sonntag in unsere unheiligen Gemächer?«
Ich gab ihm den Umschlag.
»Da drin ist ein Erpresserbrief. Sieh mal nach, ob du Prints darauf findest. Meine eigenen sind bestimmt dabei. Hol meine Karte aus der Personalabteilung und streich meine Prints gleich raus! Was übrig bleibt, kannst du zur Identifizierung gleich mit diesem Umschlag mit nach Washington schicken. Kleb ihn zu, wenn du fertig bist, und gib ihn an die Kurierabteilung!«
»Okay, Jerry. Soll ich dich im Office anrufen, wenn ich fertig bin?«
»No. Ich weiß noch nicht, ob ich im Office sein werde. Ich rufe dich an.«
»Gut. So, long, Jerry!«
»So long, Bill!«
Ich ging ins Office zurück. Ich nahm mir ein paar Briefbogen mit den notwendigen Durchschlägen für die Akten und tippte einen Brief an den Direktor des Steve Private Zoo. Er möchte so freundlich sein und uns eine genaue Liste seines derzeitigen Personals senden. Die Angaben müssten sich auf Namen, Vornamen, Art der Beschäftigung, Anschrift, Geburtsdatum und -ort und frühere Arbeitsstelle erstrecken. Mit bestem Dank und in vorzüglicher Hochachtung - und so weiter.
Den zweiten Brief tippte ich an den Arzt des Schauhauses. Wenn es seine Zeit erlaubte, möchte er doch die Eindrücke seiner Untersuchungen der beiden aus dem Zoo eingelieferten Toten schriftlich niederlegen und umgehend an das FBI senden.
Danach rief ich das 79. Revier an. Der Lieutenant war natürlich nicht da. Er hatte schließlich auch ein Recht auf seinen Sonntag. Ich bat, ihm zu bestellen, dass der von uns besprochene Fall sich inzwischen als Erpressung erwiesen habe und damit eindeutig in die Zuständigkeit des FBI falle. Er brauche sich also nicht weiter darum bemühen, möchte mich aber unterrichten, wenn er vielleicht zufällig etwas erfahre.
Dann rief ich das Hospital an. Es war inzwischen fast neun Uhr geworden. Ja, sagte man mir, Phil sei bei Bewusstsein, dürfe aber nicht gestört werden. Besuche oder direkte Telefongespräche mit ihm seien ausgeschlossen.
Ich bat, man möchte ihm Grüße von mir bestellen.
»Selbstverständlich, Mister Cotton«, sagte die Schwester.
»Und dann sagen Sie ihm bitte wörtlich folgendes: Er wäre eine ganz trübe Tasse, wenn er nicht innerhalb von drei Tagen auf den Beinen stünde. Solche Waschlappen könnten wir gerade noch gebrauchen. Ich fühlte mich richtig wohl, dass ich ihn mal für ein paar Tage nicht zu Gesicht bekäme.«
Die Schwester japste nach Luft.
»Das - das ist doch wohl nicht Ihr Ernst?«
»Doch, bitte wörtlich übermitteln. Es ist unsere gebräuchliche Art der Freundschaftsbeteuerung. Wenn ich ihm wörtlich gute Besserung oder sonst etwas Sanftes bestellen ließe, würde er glauben, dass ich im Sterben läge.«
Die Schwester lachte.
»Jetzt verstehe ich, Mister
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