0075 - Das tödliche Tagebuch
schrieb. Und die reine Wahrheit zu schreiben konnte ihm niemand verbieten.
Sands war ein blonder, sportlicher Erfolgstyp mit einer scharfen Nase und hellen, klugen, ruhelosen Augen. Als Journalist war er unschlagbar. Er erfüllte auf diesem Posten eine Mission.
Jemand klopfte an die Tür seines hellen Büros.
»Herein!« rief er.
Nolan Kerry trat ein. Mittelgroß, eher unscheinbar, mit blassen Wangen und feingliedrigen Händen. Sein dunkles Haar wurde langsam schütter, obwohl er erst zweiunddreißig war.
»Ich bin schon so gut wie weg«, sagte Sands. »Hast du etwas Wichtiges mit mir zu besprechen?«
Sands Kollege schüttelte den Kopf und lehnte sich an den Ordnerschrank, während Sands alles, was auf seinem Schreibtisch herumlag, in den Laden verschwinden ließ.
»Ich wollte mich mit dir nur über deinen letzten Artikel unterhalten«, sagte Kerry.
»Gefällt er dir?«
»Ich habe den Eindruck, du hast dich da ein bißchen zu scharf ins Zeug gelegt.«
Sands stoppte seine Aufräumarbeit für einen kurzen Moment. Er schaute Nolan Kerry fest in die Augen. »So. Findest du?«
»An deiner Arbeit ist natürlich wie immer nichts auszusetzen…«
»Aber?«
Kerry schürzte die Lippen. »Ich meine nur, man sollte das Ansehen der Polizei nicht so sehr untergraben, wie du das tust.«
Gordon Sands machte weiter. Er legte einen Stapel unbeschriebener Blätter in die oberste Schreibtischlade. »Ich will dir mal was sagen, Nolan. Es gibt keine Schonzeit für Polizisten! Ich mag Captain Vicker. Aber wenn er nicht fähig ist, diesen Wahnsinnigen zu fassen, der nun schon zum drittenmal zugeschlagen hat, dann ist er meines Erachtens eben nicht der richtige Mann für diesen Job.«
»Der Captain könnte dir diesen Artikel ziemlich übelnehmen.«
»Er weiß, daß ich nur meine Arbeit mache. Mein Chef verlangt gute Arbeit von mir. Ich kann mich nicht an die Schreibmaschine setzen und seitenlanges Gewäsch niederschreiben. Ted Vicker versteht das. Meine Angriffe richten sich nicht gegen seine Person, sondern gegen das Amt, das er bekleidet. Wenn er diesen Killer nicht zur Strecke bringen kann, dann muß er den Fall eben abgeben.«
»An wen denn?«
»An einen Mann, der das zu leisten imstande ist, was Vicker nicht schafft!« sagte Gordon Sands hart. Sein Schreibtisch war jetzt leer. Er erhob sich, schnellte hoch wie eine zusammengepreßte Feder, die man plötzlich losläßt.
»Holt Scarlett dich ab?« fragte Kerry, als Sands seinen Mantel anzog.
»Ja.«
»Grüß sie von mir, und sag ihr, ich wäre der Meinung, du würdest sie nicht verdienen.«
Sands grinste und boxte Kerry leicht gegen die Rippen. »Ich weiß, daß du ein Auge auf sie hast. Aber ich geb' sie nicht her.«
»Scarlett ist ein prachtvolles Mädchen.«
Sands nickte. »Deshalb brauche ich sie.«
Die beiden Journalisten verließen Sands Büro. Kerry begleitete den Kollegen zum Lift. Gordon Sands kam noch einmal auf die Mädchenmorde zu sprechen. »Es muß endlich hart durchgegriffen werden, Nolan, verstehst du? Captain Vicker hat eine Menge Zeit verplempert. Deshalb werde ich ihm mit meinen Artikeln so lange zusetzen, bis er begriffen hat, daß es vernünftiger ist, den Fall einem fähigeren Mann zu überlassen. Wenn unsere privaten Beziehungen darunter leiden würden, wäre mir das zwar unangenehm, aber ich würde deshalb kein Jota an meinen Artikeln ändern.«
So war, Gordon Sands. Hart gegen sich selbst. Unnachgiebig und trotzig. Streitsüchtig und unerschrocken, wenn es darum ging, der guten Sache zum Sieg zu verhelfen. »Es darf kein Mädchen mehr von dieser schrecklichen Bestie zerfleischt werden, Nolan«, sagte er noch. Dann stieg er in den Fahrstuhl, die Türen glitten zu, der Lift setzte sich in Bewegung.
Kerry wandte sich kopfschüttelnd um. Was war Gordon Sands nur für ein außergewöhnlicher Mensch. Er hätte seine eigene Mutter an den Pranger gestellt, wenn es sein Job von ihm verlangt hätte. Ein harter Bursche. In der Tat. Er würde es noch sehr weit bringen.
***
Als Gordon Sands aus dem Zeitungsgebäude trat, stieg Scarlett York aus ihrem knallroten Volkswagen. Sie lief auf ihn zu, warf sich in seine ausgebreiteten Arme und bot ihm ihre kirschroten Lippen zum Kuß. Scarlett war ein anmutiges, gertenschlankes Mädchen. Ihr Teint war hell, deshalb trug sie ziemlich viel Rouge auf ihren Wangen. Sie war naturblond. Eine Baskenmütze saß keck auf ihrem kleinen Kopf. Mit salzwasserblauen Augen blitzte sie Sands erfreut an. Sie wirkte
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