0075 - Es geht um Kopf und Kragen
beiden Gangster hangelten in ungefähr acht Meter Höhe an dem dünnen Seil quer über den Hof. Voran der Unverwundete, dahinter der Verletzte.
Schon waren sie über die Mitte hinaus.
Ich hätte sie bequem abschießen können. Aber mir kam nicht einmal der Gedanke. Ich schieße nicht auf Wehrlose, schon gar nicht in einer solchen Situation.
Irgendwo weit oben an dem Gebäude musste eine Reklame brennen, die ich von hier aus nicht sehen konnte. Jedenfalls fiel vom Dach ein roter Lichtschein herab und beleuchtete die beiden Gangster auf eine gespenstische Art.
Jetzt hatte der Erste das jenseitige Fenster erreicht. Er brachte sich in Schwung und stand jetzt auf dem Fensterbrett. Er sah sich nach seinem Kollegen um.
Der hing keinen halben Meter von der Hauswand entfernt, sein Gesicht halb in meine Richtung gekehrt. Ich sah die unnatürlich weit aufgerissenen Augen, den offenen Mund, das schweißüberströmte Gesicht.
Und ich sah, wie der eine Arm langsam vom Seil abließ und wie leblos herabfiel. Mit einer Hand konnte er den restlichen halben Meter niemals schaffen. Der andere musste ihm helfen. Er brauchte ja nur die beiden Arme auszustrecken, um ihn heranziehen zu können.
»Joooohnnn!«, gellte der verzweifelte Hilferuf des Verwundeten durch die Nacht. Der Schrei brach sich schaurig von den Gebäudewänden wider.
Ich schluckte. Wie in einer Großaufnahme sah ich, wie sich die Finger der unverletzten Hand um das Seil krampften, wie sie vor Erschöpfung nachgaben, wie er jetzt nur noch an den Fingerspitzen hing - jetzt musste der andere zupacken! Jetzt!
Er tat es nicht.
Stattdessen zog er seine Pistole und zielte auf mich. Mir wurde es nicht bewusst. Ich schloss die Augen, als der andere abstürzte.
Sein Schrei trieb es mir kalt über den Rücken.
Ich hatte die Augen geschlossen, um diesen Sturz nicht sehen zu müssen. Als die erste Kugel neben mir in das Holz des Fensters schlug, war ich mit einem Schlag wieder hellwach.
Meine Hand fuhr ans Schulterhalfter, instinktiv schob der Daumennagel noch im Ziehen den Sicherungsflügel zurück und schon peitschten meine letzten beiden Kugeln hinüber.
Mein Gegner stand wie vom Schlag gerührt. Dann löste sich seine Pistole aus seinen Fingern, die Arme verkrampften sich vor der Brust, er knickte in den Knien ein, beugte sich nach vorn wie unter einer gewaltigen Last - dann stürzte er seinem Komplizen nach. Ich drehte mich um und wünschte mir vergeblich, dass ich eine kleine Pulle Whisky eingesteckt hätte, so sehr würgte es in meinem Magen.
***
Ich ging langsam die Treppe hinab. Phil kam mir mit sechs uniformierten Polizisten, an der Spitze ein Mann in der Uniform eines Lieutenants, entgegen.
»Hallo, Jerry!«, rief er. »Gott sei Dank! Hat es dich erwischt?«
Ich schüttelte den Kopf.
»No. Nur mein Zeh muss ich mir angeknackst haben. Anscheinend bin ich irgendwo dagegen gerannt. Es tut höllisch weh.«
Der Lieutenant lachte. Er sah unwillkürlich auf meine Füße. Plötzlich stutzte er, bückte sich und betrachtete die Spitze meines linken Fußes.
»Angeknackst?«, fragte er. »Dann könnte es doch eigentlich nicht bluten, nicht wahr? Und die Schuhspitze könnte dann auch noch dran sein!«
Ich bückte mich. Und erst jetzt sah ich die Bescherung.
Als ich den Fuß mit dem aufgestülpten Hut langsam über die Treppe gehoben hatte, hatten sie mir doch tatsächlich die Zehenspitze abgeschossen. Es war für einen G-man eine reichlich lächerliche Situation, aber es schmerzte höllisch.
Ich musste mich sofort auf die Treppe setzen. Lieutenant Blackscon, der sich inzwischen vorgestellt und mit mir einen kräftigen Händedruck gewechselt hatte, zog aus seiner Uniformtasche ein Verbandpäckchen und wickelte es mir kunstgerecht um meinen ziemlich stark blutenden Zeh. Da der Schuh ohnehin zum Teufel war, ratschte er mit seinem Taschenmesser vorn ein paar Schnitte ins Leder, sodass ich trotz des dicken Verbandes in den Schuh kommen konnte.
Nachdem sie mich derart verkleistert hatten, gingen wir zurück ins Erdgeschoss. Ich hatte Phil und Blackscon berichtet, wie sich die ganze Sache zugetragen hatte, und nun mussten wir sehen, was mit ihnen geschehen war. Nach langem Suchen fanden wir aus einer Toilette heraus ein Fenster, das auf den Hof ging, und das nicht zu hoch lag, sodass wir hinausklettern konnten. Mit Taschenlampen untersuchten wir die Körper der beiden Gangster.
Der Erste war tot. Ich hatte ihn, ohne es zu wollen, ins Herz getroffen. Der Zweite, also
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