0084 - Das Buch der grausamen Träume
herum, während mehrere Männer wieder ihre Fackeln anzündeten.
Geisterhaft brach sich der Schein an den Häuserwänden. Ein bizarres Schattenspiel huschte über die Gesichter der versammelten Männer und Frauen.
Es war eine unheilschwangere Atmosphäre, und Julias Angst wurde größer.
Plötzlich verstummte der Gesang. Stille. Dann der Befehl des Bürgermeisters. »Packt sie, los!«
Vier kräftige Männer traten vor. Jeweils zwei von ihnen hoben die Bretter mit den angeschnallten Menschen hoch. Sie legten sich die Enden auf die Schultern und warteten ab, bis sie den Befehl zum Abmarsch erhielten.
Noch wartete der Bürgermeister. Erst als die Kerle mit den Bluthunden da waren, marschierten sie los. Es war eine schaurige Prozession, die sich auf den Marktplatz zu bewegte. Der Bürgermeister ging an der Spitze, ihm folgten die vier Männer mit den Opfern.
Die Fackelträger hatten Julia und Suko eingerahmt. Sie leuchteten ihnen auf dem Weg in den Tod. Es folgten die Kerle mit den Bluthunden. Die Bestien jaulten und winselten. Sie waren kaum noch zu halten. Als sie den Marktplatz erreichten, erkannte Suko aus den Augenwinkeln den parkenden Bentley, und er fragte sich, ob er den Wagen wohl zum letzten Mal in seinem Leben sah. Sie gingen weiter.
Die tragenden Männer waren nicht gleich groß, so daß das Brett schief lag und bei jedem Schritt hin- und herwankte. Julia de Fries und Suko wurden durchgeschüttelt, als befänden sie sich auf einem Schiff, das gegen einen Sturm ankämpft. Sie überquerten den Marktplatz und erreichten einen nicht mit Kopfsteinpflaster belegten Weg, der direkt zum Fluß hinunterführte. Der Weg durchschnitt ein Gartengelände. Die einzelnen Parzellen waren durch brüchige Zäune voneinander getrennt. Bewegungslos lag der Chinese auf dem Brett. Aufgegeben hatte er sich aber noch längst nicht, auch wenn er jetzt nicht in der Lage war, etwas zu unternehmen. Er wollte weiterkämpfen, und er war sicher, daß ihn sein Freund John Sinclair nicht im Stich lassen würde.
Aber konnte John es wirklich schaffen? Er war waffenlos, und die Zeit, zum Wagen zurückzulaufen, die blieb ihm sicherlich nicht. Bis er wieder den Fluß erreicht hatte, war die Hexenprobe sicherlich vorbei.
Langsam wurde die Lage kritisch.
Die Männer schritten mit ihren beiden Gefangenen über die feuchten Wiesen, und langsam fiel das Gelände ab. Der Fluß war nahe. Sein gleichmäßiges Rauschen drang an Sukos Ohren.
Die Hunde wurden wilder. Sie zerrten und rissen an den Lederleinen, wurden aber noch unter Kontrolle gehalten.
Der Bürgermeister bemerkte es zuerst.
»Er ist in der Nähe!« keifte er. »Sinclair ist nicht mehr weit, ich spüre es, und die Hunde spüren es. Seht nur, wie sie zerren und reißen. Sie wollen dem Hundesohn an die Gurgel.«
Damit hatte der Zwerg recht, aber noch hielt er den Befehl zurück, die Bestien freizulassen.
Dann aber entschloß er sich doch.
»Los!« schrie er. »Laßt sie laufen!«
Die Männer taten nichts lieber als das. Sie ließen die Leinen los, und die Bluthunde rannten auf den Fluß zu.
Der Bürgermeister rieb sich die Hände. »Jetzt werden sie ihn packen und zerfleischen!« Er freute sich diebisch, während Suko an seiner Wut fast erstickte. Er hätte den Zwerg am liebsten ungespitzt in den Boden gerammt.
Die Körper der Bluthunde streckten sich bei jedem Sprung.
Diese Bestien strotzen vor Kraft, und mit Urgewalt drangen sie in die nahen Uferbüsche ein.
»Weiter!« befahl der Bürgermeister. »Wir gehen weiter und führen die Hexenprobe durch. Unsere Freunde werden diesen Sinclair schon anschleppen, darauf könnt ihr euch verlassen!«
Wieder begann die Schaukelei.
Julia de Fries war es bereits schlecht. Ihr Magen revoltierte.
Lange würde sie den Brechreiz nicht mehr unterdrücken können.
Die Gruppe hatte eine andere Richtung eingeschlagen. Sie schritt jetzt parallel zum Flußufer. Die Fackeln durchdrangen mit ihrem geisterhaften Schein die Dunkelheit und überzogen die Gesichter der Männer und Frauen mit einer blutigen Röte.
Die Frauen waren besonders schlimm. Immer wieder stimmten sie ihren Singsang an, und in allen Liedern wurde der Tod der Hexen beschworen.
Nach wie vor schritt der Zwerg an der Spitze. Wie eine Hammelherde folgten die anderen bis der Bürgermeister die rechte Hand hob. Die Prozession stoppte.
»Hört ihr was?« rief der Zwerg.
Golo trat vor. »Nur das Jaulen der Hunde.«
»Das meine ich ja. Leider klingt es nicht sehr freudig. Verdammt
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