0085 - Der Feuergötze
gehorchte.
Der heruntergefallene Felsbrocken war unregelmäßig geformt, wies Auswaschungen und vorstehende Grate auf. Es gehörte nicht einmal besondere Geschicklichkeit dazu, ihn als eine Art Treppe zu benutzen. Selbst Chedli, dessen einst atlethische Figur durch gutes Essen ziemlich gelitten hatte, traute sich ohne weiteres zu, die zweieinhalb Meter bis zu der Öffnung in der Geröllwand leicht bewältigen zu können.
Djamaa machte sich an den Aufstieg. Er brauchte nur Sekunden, dann hatte er es bereits fast geschafft. Einer der Karthager streckte hilfreich seine Hand aus und zog ihn ganz hoch. Der Leibwächter verschwand in dem Felsloch.
Chedli folgte nicht sofort.
»Djamaa!« rief er nach oben. »Hörst du mich?«
Sofort tauchte der Kopf seines Leibwächters wieder in der Öffnung auf.
»Wie sieht es aus, Djamaa?«
Der Leibwächter lächelte verkniffen. »Enttäuschend, Sidi. Kein Gold, keine Edelsteine. Ein großer saalartiger Raum mit einer riesigen Götzenfigur. Aus Eisen, glaube ich. Davor brennt ein Feuer. Das ist schon alles, was ich bisher gesehen habe.«
»Noch Menschen außer den zweien?«
»Ich habe sonst niemanden gesehen.«
Kein Gold, keine Edelsteine? Das war in der Tat enttäuschend, fand Chedli. Aber es mußte ja nicht alles gleich auf den ersten Blick zutage treten. Er würde sich selbst überzeugen.
»Ich komme«, sagte er.
Dann kletterte er ebenfalls nach oben. Es war doch etwas beschwerlicher, als er gedacht hatte. Einmal wäre er beinahe mit dem Fuß abgerutscht und hintenüber gekippt. Er konnte sich gerade noch so halten. Schließlich konnte er die helfende Hand des Priesters ergreifen. Mit einer Kraft, die er der dünnen Gestalt des Mannes gar nicht zugetraut hätte, zog ihn dieser ganz nach oben. Ein bißchen schwer atmend betrat Chedli den Höhleneingang.
Sein Blick fiel sofort auf die Götzenfigur, von der Djamaa gesprochen hatte.
Enttäuschend? Nein, dieses gewaltige Götterbildnis war nicht enttäuschend. Es war imponierend und… beängstigend. Die züngelnden Flammen davor tauchten es in geisterhaftes, rötliches Licht, gaben der Figur fast den Anschein, als würde sie leben.
Ganz plötzlich fühlte sich Chedli gar nicht mehr so wohl in seiner Haut. Vielleicht war es doch ein Fehler gewesen, ohne Vorbereitung, beinahe spontan, diesen Tempel zu betreten.
Gewaltsam zwang er seine Bedenken nieder. Er durfte vor diesen Priestern keine Schwäche zeigen, durfte ihnen nicht das Gefühl geben, daß er nicht völlig Herr der Situation war.
Die beiden Karthager lächelten immer noch. Der Dünne mit dem asketischen, wie aus dunklem Holz gemeißelten Gesicht bedeutete ihm in der Zeichensprache, näherzutreten. Er ging voraus, auf das Götterbild zu.
Zögernd folgte ihm Chedli, gemeinsam mit Djamaa. Ihm war es im Augenblick gar nicht so recht, sich allzuweit von der Öffnung im Fels zu entfernen.
Noch etwas beunruhigte ihn. Da war auf einmal ein Brennen auf seinem Oberschenkel, das stärker und stärker wurde, je mehr er sich dem Götterbild näherte.
Das Amulett!
Es wurde wieder aktiv. Warum? War der Götze dafür verantwortlich? War er von übernatürlichen Kräften erfüllt - genau wie der steinerne Geröllvorhang, den der Talisman gesprengt hatte?
Abrupt blieb Chedli stehen. Er hielt Djamaa am Arm fest, um auch diesen am Weitergehen zu hindern.
»Sidi?«
»Hier ist etwas faul, Djamaa«, flüsterte er. »Wir sollten umkehren.«
Der asketische Priester hatte bemerkt, daß sie ihm nicht mehr folgten.
Er verhielt seinen Schritt ebenfalls, drehte sich zu ihnen um. Mit seiner dunklen Stimme sagte er etwas, begleitete seine Worte mit einer einladenden Handbewegung. ›Kommt!‹ sollte das wohl bedeuten.
Chedli schüttelte den Kopf. Er hatte auf einmal das Gefühl, in eine Falle geraten zu sein. Konnte es sein, daß das Amulett Professor Zamorras sein Empfindungsvermögen stärkte, daß es ihn warnen wollte?
Noch einmal machte der asketische Priester seine Handbewegung. Und wieder schüttelte Chedli den Kopf.
Das Lächeln im Gesicht des Karthagers gefror. Seine harten Züge wurden noch härter, und ein Funkeln trat in seine nachtdunklen Augen.
Blitzartig wurde sich Chedli darüber klar, daß er den Mann gewaltig unterschätzt hatte. Das freundliche Lächeln, das harmlose, beinahe ängstliche Getue waren nur Tünche gewesen. Jetzt zeigte der Mann sein wahres Gesicht, das Gesicht eines Priesters, der einem blutrünstigen Gott diente.
Chedli fuhr herum.
»Raus hier!«
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