0087 - Schrei, wenn dich die Schatten fressen!
schaute über die Grabreihen. »Irgendwann«, murmelte er, »irgendwann werden die Toten bestimmt wiederkommen. Ich weiß es. Ich habe oft genug davon geträumt. Bald kommen sie…«
»Was geschieht mit mir?« fragte Mary Selnick leise.
Suko hob die Schultern. »Ich weiß es nicht. Am besten wird es sein, wenn Sie zu Hause bleiben.«
Der Totengräber hatte die Leiche inzwischen erreicht. Er wartete noch auf Suko. »Fassen Sie mit an?«
»Ja.«
Gemeinsam schafften es die beiden Männer, den Toten wieder in den Sarg zu legen. Mary stand dabei und weinte.
Es mußte für sie schrecklich sein, mitanzusehen, was mit ihrem Mann geschah.
Jim Murray schraubte auch den Deckel fest. Dann schaufelten die Männer das Grab wieder zu.
»Fertig!« sagte Murray und rieb sich die Hände, Dabei schaute er Suko an.
Der Chinese verstand und drückte dem Totengräber einen Schein in die schwielige Hand.
»Danke, Sir, danke.«
Suko und Mary Selnick gingen. Der Chinese stützte die Frau. Sie hatte in der letzten Zeit sehr viel durchgemacht und viel gelitten. Den Kopf hielt sie gesenkt, ihre Wangen glänzten tränennaß.
Zum Glück besaß Suko einen Ersatzschlüssel für den silbermetallicfarbenen Bentley. Und er fühlte sich nicht nur auf seiner Harley zu Hause, sondern konnte auch Auto fahren.
Suko schloß die Beifahrertür auf, damit Mary Selnick Platz nehmen konnte.
»Schnallen Sie sich bitte an«, sagte der Chinese, denn er sah, daß Mary die Hände in den Schoß legte.
»Ja, natürlich, entschuldigen Sie.« Suko schob den Zündschlüssel ins Schloß. Er wollte ihn herumdrehen, als er stutzte.
Die Temperatur innerhalb des Wagens hatte abgenommen. Eine leichte Gänsehaut lief über Sukos Rücken. Er erinnerte sich deutlich an meinen Bericht. Der Überfall der Schatten auf dem Motorway hatte ähnlich begonnen.
Sollten hier auch die Schatten lauern?
»Spüren Sie nichts?« fragte Suko die neben ihm sitzende Mary.
»Nein, wie sollte ich?« Sie lachte.
Nicht dieses Lachen erschreckte den Chinesen, sondern die Stimme der Frau. Sie hatte mit einer anderen Stimme gesprochen, mit einer die Suko kannte. Sehr gut sogar. Sie gehörte Jane Collins!
***
Sofort fuhr der Chinese herum. Er starrte in das Gesicht der Frau.
Auch mit ihm war eine Veränderung vorgegangen. Ihre Augen wären verdreht, den Mund hatte sie weit geöffnet. Ein unartikuliertes Stöhnen drang über ihre Lippen. Gleichzeitig wurde sie durchgeschüttelt wie bei einem Fieberanfall.
Suko faßte sie an. »Was ist mit Ihnen, Mary? Was ist geschehen?«
Mary röchelte. Plötzlich trat Schaum vor ihren Mund, und noch im gleichen Augenblick drang ein befreiender Laut aus ihrer Kehle.
Und mit diesem Laut schoß ein Schatten aus ihrem Mund.
Sukos Hand schnellte vor. Er wollte den Schatten berühren, doch der war zu schnell. Er huschte um die Frau herum, und einen Herzschlag später vernahm Suko die Stimme der Detektivin Jane Collins dicht neben seinem rechten Ohr.
»Ich werde dich töten, Chinese!« stieß der Schatten voller Haß hervor.
Suko zog den Kopf ein. Er warf dabei einen raschen Blick auf Mary Selnick, die in ihrem Sitz zusammengebrochen war. Dann konnte er sich um die Frau nicht mehr kümmern, denn zwei eiskalte Hände glitten auf seine Kehle zu.
Suko wollte die Arme fassen, doch er griff hindurch. Der Schatten war nicht existent.
»Jane!« keuchte der Chinese. »Himmel, Jane, was tust du?«
»Ich bin vom Spuk geschickt worden«, erwiderte der Schatten. »Ich bin die Vorhut.«
»Bitte nicht.« Suko bekam gerade noch soviel Luft, damit er sprechen konnte. »Denk an John. Er ist unterwegs, um deinen Körper zu suchen. Er wird ihn finden, Jane, und alles wird wieder so sein wie früher… Glaub mir.«
Jane Collins lachte. »Ich will gar nicht, daß es so wird wie früher. Ich bin eine andere. Ein Geist, habe endlich die Freiheit, da ich von meinem Körper getrennt wurde. Ich habe euch beobachtet. Ganz genau sogar. Keinen Moment habe ich euch auf dem Friedhof aus den Augen gelassen.« Sie kicherte. »Ihr Narren, ihr wißt gar nicht, was alles auf euch zukommt. Das Tor in die normale Welt steht weit offen. Die Schatten formieren sich. Sie werden kommen. Heute, morgen, übermorgen. Immer und ewig…«
Suko war schockiert.
Er kannte Jane Collins schon ziemlich lange, wußte auch wie loyal sie John und ihm gegenüberstand. Daß sie jetzt aber genau entgegengesetzt reagierte, zu einer Feindin wurde, war für den Chinesen schwer zu begreifen. Es mußte
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