009 - Mordaugen
Sentimentalität hervor. Die Alte
sah so freundlich aus, trotz der kalten, seelenlosen Augen. Alter - das brachte
sie in Verbindung mit Verständnis und Güte.
In diesem
Moment hatte sie nur die Hoffnung, daß man ihr Verständnis entgegenbrachte, und
daß alles möglicherweise auf einem Mißverständnis beruhte. Denn außer dem
Mörder wohnte offensichtlich noch dessen alte Mutter in diesem Haus. Und der
Gedanke, daß diese alte Frau die furchtbaren Taten ihres Sohnes dulden oder
decken könnte, war in dieser Minute so absurd für sie, daß sie es nicht
wahrhaben wollte, es könnte eventuell doch so sein...
»Aber
natürlich, meine Liebe, natürlich werde ich dir helfen«, sie sagte es
spöttisch, und die Art und Weise, wie sich ihre Lippen verzogen, verhieß nichts
Gutes. Linda Pokins drückte sich tief in den Sessel zurück.
»Glen, mein
über alles geliebter Sohn, wird seine Freude an dir haben. Du wirst ihn
unterstützen, der Mächtigste der Crowdens zu werden...«
»Der
Mächtigste der Crowdens?« echote Linda Pokins.
Was hat das
zu bedeuten?
»Er ist der
einzigste, der in dieser Zeit, diesem Jahrhundert, geboren wurde«, fuhr die
Alte fort. »Ich habe ihm das Leben geschenkt. Durch mich, einer echten Crowden,
hat er den Keim mitbekommen, der ihn zum Herrn, zum Meister der Nacht und des
Todes werden läßt. Seit dem frühen sechzehnten Jahrhundert haben meine Ahnen
okkulte Praktiken betrieben, das Böse erforscht und vertreten. Das Böse und
Dämonische ist zum Inbegriff für eine Familie geworden, die im alten Europa die
Geister der Vergangenheit beschwor. Druiden und Teufelsanbeter gab es in der
Familie, lange vor der Zeit, von der ich dir berichte. Irgendwann ist ein
Tropfen schwarzen Blutes in die Adern der Crowdens geraten und hat die
Veränderung bewirkt. In ferner Zeit, die wir wiedererstehen lassen und erkennen
wollen, hat ein Ahne den Abstieg in dämonische Gefilde geschafft und die
schwarze Dämonensonne gesehen, die ihn veränderte und beeinflußte. Von diesem
Ahnen stammen alle anderen ab, die dieser mit einem Tropfen Dämonenblut
durchsetzten Lebenssaft in ihren Adern strömen haben.
Ich habe
diese Kraft in mir sehr spät erkannt. Ich entdeckte Kräfte und Fähigkeiten, die
man gemeinhin einer Hexe zubilligt. Ja, ich bin eine Hexe, habe meinen Mann
getötet, nachdem er Glen gezeugt hatte und konnte mich bis zur Stunde fünfzig
Jahre lang verbergen. Glen ist kein Sohn jenes gewissen Mr. Link, seines Vaters,
geworden, sondern ein echter Nachkomme der Crowdens. Er wurde - ohne Augen
geboren...«
Linda Pokins
stöhnte leise und erschauerte bei diesen Worten.
Die Alte
kicherte. »Ja, es ist alles so, wie ich es dir sage, auch wenn es sich noch so
seltsam anhört. Es gibt Wirklichkeiten, die man nicht wahrhaben will. Die jene
sogenannten »Normalmenschen« nicht wahrhaben wollen, um es ganz genau zu
sagen... «
Linda Pokins
merkte, wie es ihr schwer fiel, einen klaren Gedanken zu fassen.
Die Alte
beugte sich nach vorn und kam so dicht, daß Linda ihren Atem auf dem Gesicht
spürte.
»Wir sehen
aus wie Menschen, aber wir sind keine mehr. Wir haben unsere Seelen verkauft,
um über andere Menschen Macht zu haben...«, stieß die Alte hervor. »Das Zeichen
der Crowdens gibt es auch an mir - hier...« Mit diesen Worten wandte sie
ruckartig den Kopf, so daß Linda Pokins das faltige Gesicht im Profil sah. Die
Alte strich sich die eisgrauen Haare nach hinten, und Linda Pokins sah das
daumennagelgroße Muttermal an der Schläfe, das die Form eines Fledermausflügels
hatte.
»Das ist nur
ein Zeichen. Echte Crowdens - haben keine Augen... Und die anderen, die nicht
zur Familie gehören, verlieren sie, wenn sie einen echten Crowden sehen. So
einfach ist das...«
»Wahnsinn«,
stieß Linda Pokins hervor. Zitternd brachte sie ihre Hände in die Höhe und
preßte sie vors Gesicht. Sie hatte es offenbar mit einer Verrückten zu tun.
»Dies ist die
Quittung dafür, daß einer der Crowden-Ahnen einen Blick in die Dämonensonne
warf. Er hat dabei seine Augen verloren, aber andere Sinne mitgebracht, fuhr
die alte Frau unbeirrt fort. Es schien ihr Freude zu bereiten, dies alles zu
erzählen. »Die Crowdens personifizieren das Böse und Dämonische, und sie haben
einen Auftrag zu erfüllen. Die Kraft der Finsternis muß gestärkt werden.
Deshalb sind auch diese schönen Puppen da, meine Liebe... sie sind Vampire,
leben in der Nacht, und bei Tageslicht halten sie sich in diesem dunklen Raum
auf, der ihnen den
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