0096 - Wir jagten den U-Bahn-Mörder
Nu enger ziehen. Die Hauptverdächtigen sind Männer zwischen 45 und 55. Ferner: es muß festgestellt werden, wer auf dieser Strecke Dienst hatte. Die Untersuchung der Leiche wird Auskunft über die Tatzeit geben. Die Verdächtigen werden immer weniger werden. Zum Schluß kommen höchstens hundert Männer in Frage, unter Umständen sogar noch viel weniger!«
Wir hatten die Essex Street erreicht. Vor dem U-Bahn-Eingang, der auf einer Verkehrsinsel lag, ging ich in die Bremse. Eine Menge Fahrzeuge der City Police versperrte die ganze Straße.
Zwei Cops führten uns zu dem Fundort. Es herrschte das übliche Gedränge Ich wechselte kurz ein paar Worte mit dem zuständigen Lieutenant der Stadtpolizei, Phil sprach mit dem Polizeiarzt Nachdem wir die beiden Arbeiter, die die Leiche gefunden hatten, einem kurzen Verhör unterzogen hatten, trat der Polizeifotograf an uns heran.
»Haben Sie noch irgendwelche Wünsche, Sir?« erkundigte er sich pflichteifrig. »Besondere Aufnahmen und so?«
»No«, winkte ich ab und nahm Phil beiseite.
»Was sagte der Doc?«
»Er kann auch ohne Obduktion mit Sicherheit bestimmen, daß der Mord gestern schon passierte. Vermutlich zwischen zwanzig und vierundzwanzig Uhr, eventuell noch kurz vor Betriebsschluß der U-Bahn. Auf keinen Fall aber heute morgen.«
Wir ließen uns die Handtasche der Toten zeigen. Sie hatte etwas über 60 Dollar bei sich gehabt. Raubmord als Tatmotiv schied also wiederum aus. Es war zweifellos eine neue Tat des U—Bahn-Mörders.
Wir stöberten die Papiere durch, die sich in der Tasche befanden. Wir sahen ein paar Fotos, die in einem Briefumschlag steckten.
»Wahrscheinlich ihr Mann und ihr Kind!« meinte Phil und deutete auf ein Bild, das die junge Frau und einen braungebrannten Mann von etwa 35 Jahren zeigte. Letzterer hielt einen kleinen, etwa zweijährigen Jungen auf dem Arm.
»221 Elizabeth Street wohnt sie«, sagte ich. »Ja, Phil, wir müssen uns jetzt trennen. Einer muß unbedingt zum Subway-Office, und der andere zur Elizabeth Street!«
»Bilde dir nur nicht ein«, erwiderte er, »daß du zur Subway-Gesellschaft fährst! Mach' du dich heute zur Abwechslung auf den Weg zu den Irvings. Ich bin heute nicht in der Verfassung, einen Kondolenzbesuch zu machen!« Vergeblich versuchte ich, Phil umzustimmen. Er blieb hartnäckig, und wohl oder übel machte ich mich auf den Weg.
»Die Elizabeth Street läuft parallel mit der Bowery«, erklärte Phil.
»Ich weiß!« gab ich mißmutig zurück und stolperte über die Gleise dem Bahnhof entgegen. Phil würde noch ein wenig am Fundort verbleiben und die nötigen Anordnungen treffen.
Eine knappe halbe Stunde später stand ich bereits vor dem Hause 221 Elizabeth Street. Ich wandte mich an einen Halbwüchsigen, der vor der Haustür herumlungerte.
»Ich möchte zur Familie Irving!«
»Aufgang B, zweiter Stock!« antwortete er lässig und zeigte mit dem Daumen über seine Schulter.
»Thanks«, murmelte ich und erklomm die steilen Stufen des schmuddeligen Treppenhauses. Ob der Mann zu Hause ist, dachte ich. Unter Umständen ja. Er wird doch sicher nicht begreifen, daß seine Frau nicht heimkehrte. Vielleicht war er schon bei der Polizei und hat eine Vermißtenanzeige gemacht.
Unter diesen und ähnlichen Gedanken hatte ich das zweite Stockwerk erreicht. Ich hatte mich ablenken wollen, denn die Mission behagte mir ganz und gar nicht. Ich schlage mich lieber mit einer ganzen Gangsterbande herum, ehe ich einem Menschen mitteilen muß, daß seine Lebensgefährtin einem gemeinen, brutalen Mord zum Opfer gefallen ist. Das ist eine der unangenehmsten Aufgaben in meinem Beruf, und man muß schon ein ganz und gar abgefeimter Bursche sein, wenn man so etwas ohne Hemmungen erledigt.
Ich drückte, nachdem ich ein paarmal tief durchgeatmet hatte, den Klingelknopf neben dem Türschild: Walther Irving.
Niemand öffnete mir. Statt dessen erschien in der gegenüberliegenden Tür eine Frau von etwa 60 Jahren.
»Da ist wohl keiner da!« sagte sie.
»Mrs. Irving hat gestern abend ihren Gatten ins Hospital gebracht. Er muß operriert werden, glaube ich! Ist es denn dringend?«
»Das kann man wohl sagen«, antwortete ich. »Mister Irving ist also seit gestern abend im Krankenhaus?«
»Und die Irvings haben einen kleinen Jungen?«
»Ja, das ist der Jackie!« erwiderte die Frau stirnrunzelnd. »Was ist denn? Ist was passiert?«
»Hm«, sagte ich nur.
»Ist was mit Mrs. Irving?«
»Ja, sie ist — hm, nun, sie ist
Weitere Kostenlose Bücher