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01 Das Hotel im Moor 02 Alles wird gut

Titel: 01 Das Hotel im Moor 02 Alles wird gut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Crombie
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legte ferner Zeugnis ab vom Tod ihres gemeinsamen Sohnes, John Charles, im Alter von dreiundzwanzig Jahren. Der Name Constables war mit der Geschichte von Hampstead eng verbunden; von achtzehnhundertneunzehn bis zu seinem Tod hatte er hier in verschiedenen Häusern gelebt, und es hieß, er habe darum gebeten, seine »ewige Ruhe« in dem Dorf finden zu dürfen, das er mit seinen Gemälden unsterblich gemacht hatte.
      Warum Kincaid dieses viktorianische Monument tröstlich fand, hätte er nicht sagen können, aber seit er in Hampstead lebte, war es ihm zur Gewohnheit geworden, zum Nachdenken hierherzukommen, wenn er mit irgend etwas nicht klar kam. Er setzte sich auf einen Felsbrocken und rieb einen dürren Ast zwischen seinen Fingern, unter denen die trockene Borke in Staub zerfiel. Er versuchte, seinen Geist aller Gedanken zu entleeren und sich zu konzentrieren. Sein Gefühl sagte ihm, daß Margaret Jasmine wirklich geliebt hatte und ihr niemals etwas zuleide getan hätte. Bei Roger jedoch lag die Sache anders. Die Sexualität war eine mächtige und häufig fehlgeleitete Kraft, und er war nicht sicher, wie blind sich Margaret gestellt hätte, nur um ihre Beziehung mit Roger zu retten.
      Und Theo? Hatte Theo seiner Schwester vielleicht mehr Groll als Liebe entgegengebracht? Er hatte allen Grund, ihr dankbar zu sein, gewiß, aber für den Menschen in seiner Widersprüchlichkeit war die Dankbarkeit häufig eine schwer ertragbare Last.
      Er begann Jasmine als Mittelpunkt eines Netzwerks von Beziehungen zu sehen, von denen sie unberührt geblieben war. Was hatte sie für andere empfunden? War sie durchs Leben gegangen, ohne sich berühren zu lassen, ohne zu berühren? Sie hatte sich ihrer Krankheit mit einem solchen Gleichmut gestellt. Er konnte das leidenschaftliche junge Mädchen der Tagebücher nicht mit der Frau in Einklang bringen, die er gekannt hatte - charmant, geistreich, intelligent und verschlossener als er je gedacht hätte.
      Seufzend stand Kincaid auf. Das Licht schwand rasch, die Gräber hatten ihm keine Geheimnisse anzuvertrauen, und wenn er nicht achtgab, würde er den Weg den Hügel hinauf im Dunkeln machen müssen. Ihm fiel auf, daß der Wind sich gelegt hatte, jenseits der Begrenzungshecke flimmerten die Lichter der Stadt in der Abenddämmerung.
      Der Betrunkene war nicht mehr da, als Kincaid zur Kirche kam. Aus dem Inneren des Baus, durch das schwere Portal gedämpft, war der vertraute Gesang vieler Stimmen zu hören. »Abendandacht«, sagte Kincaid laut zu sich selbst. Wann war er zuletzt bei einem Abendgottesdienst gewesen? Der Gesang führte ihn zurück in die behäbige rote Backsteinkirche seiner Kindheit in Cheshire. Einzig die Abendandacht hatten seine Eltern als Kompromiß zwischen ihrer anglikanischen Erziehung und ihrer liberalen Weltanschauung gelten lassen. Oft hatte die Familie an der Abendandacht teilgenommen, aber niemals war Kincaid, soweit er sich erinnern konnte, sonntags in einer Kirche gewesen.
      Leise zog er die zerschrammte, mit blauem Leder gepolsterte Tür auf und schob sich hinein. Er ging zur hintersten Bank und setzte sich. Nur ein paar verstreute Gestalten saßen auf ihren Plätzen vor ihm. Es verwunderte ihn, daß der Gottesdienst, da er so mäßig besucht war, überhaupt abgehalten wurde.
      Die Stimmen der Sänger schwollen an und füllten das Kirchenschiff, und das Holz der Kirchenbänke vibrierte unter den brausenden Klängen der Orgel. Kincaid entspannte sich und beobachtete müßig den Chorleiter. Der Mann gebrauchte seine Hände wie Waffen, mit denen er dem Chor seine Zeichen um die Ohren schlug. Er sah überhaupt mehr wie ein Rugbystürmer aus als ein Chorleiter - leicht größer als einen Meter achtzig, bullige Schultern, ein kantiger Schädel.
      Als der Mann einen Schritt zur Seite trat, gewahrte Kincaid in der letzten Chorreihe ein bekanntes Gesicht. Ein grauer Haarkranz um einen kahlen Scheitel, ein rosiges Gesicht, ein gepflegter grauer Schnauzbart - Kincaid war so sehr daran gewöhnt, den Major im sportlichen Tweed zu sehen, daß er ihn im weißen Chorhemd nicht gleich erkannt hatte. Wie hatte er vergessen können, daß der Major ihm erzählt hatte, er singe im Chor der St.-John’s-Kirche? Kincaid starrte interessiert nach vorn, fasziniert vom Anblick seines sonst so wortkargen Nachbarn, der hier seine Baßstimme zu freudigem Gesang erhob.
      Der Gottesdienst ging zu Ende. Ein letztes »Amen« hing zitternd in der Luft, dann

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