01_Der Fall Jane Eyre
Das Amt kann es sich nicht leisten, Leute
vom Schlage eines Fillip Tamworth zu verlieren.«
»Danke.«
»Wofür?«
»Dafür, daß Sie mir seinen Vornamen genannt haben.«
Der Mann wollte noch etwas sagen, besann sich dann aber doch
eines Besseren und ging.
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Ich stand auf und starrte aus dem Fenster des provisorischen
Verhörraums. Draußen war es sonnig und warm, und die Bäume
wiegten sich sanft im Wind; die Welt sah aus, als sei für Menschen
wie Hades auf ihr wenig Platz. Die Gedanken an besagte Nacht
kehrten zurück. Die Sache mit Snood hatte ich ihnen wohlweislich
verschwiegen. Acheron hatte auf Snoods müden und verbrauchten
Körper gezeigt und gesagt: »Ich soll dir von Filbert ausrichten, daß es
ihm leid tut.«
»Das ist Filberts Vater!« verbesserte ich ihn.
»Nein«, sagte er kichernd. »Das war Filbert.«
Ich sah mir Snood noch einmal an. Er lag mit offenen Augen auf
dem Rücken, und die Ähnlichkeit war unverkennbar, trotz der vierzig
Jahre Altersunterschied.
»O Gott, nein! Filbert? Wirklich?«
Acheron schien sich königlich zu amüsieren.
»Bis auf weiteres verhindert ist der gängige ChronoGardenEuphemismus für eine Zeitaggregation, Thursday. Komisch, daß du
das nicht wußtest. Eine Minute außerhalb des Hier und Jetzt, und
schon bist du sechzig Jährchen älter. Kein Wunder, daß er sich nie
wieder bei dir gemeldet hat. Er wollte nicht, daß du ihn so siehst.«
Also doch keine Frau in Tewkesbury. Mein Vater hatte mir genug
von Temporaldilationen und ZeitVerzerrungen erzählt. Filbert war
irgendwo zwischen Ereignis, Konus und Horizont gefangen gewesen,
was seine Rückkehr in die Gegenwart »bis auf weiteres« verhindert
hatte. Das Tragische daran war, daß er es mir nicht mehr hatte sagen
können. Ich war derart perplex, daß ich nicht reagierte, als Acheron
die Waffe hob und schoß. Und genau das hatte er wohl geplant.
Ich ging langsam in mein Zimmer zurück und setzte mich aufs Bett.
Ich war am Boden zerstört. Wenn ich allein bin, kommen mir leicht
die Tränen. Nachdem ich fünf Minuten Rotz und Wasser geheult
hatte, ging es mir schon bedeutend besser; ich putzte mir geräuschvoll
die Nase und schaltete den Fernseher ein, um mich ein wenig
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abzulenken. Ich zappte mich durch die Kanäle, bis ich auf das Toad
News Network stieß. Neues von der Krim, was sonst?
»Wir bleiben beim Thema Krim«, verkündete die
Nachrichtensprecherin. »Die Abteilung Spezialwaffen der Goliath
Corporation präsentierte heute ihre jüngste Entwicklung im Kampf
gegen die russischen Aggressoren. Man hofft, mit dem neuen
Ballistischen Plasmagewehr – Codename: Stonk – die entscheidende
Wende im Krieg um die Halbinsel herbeiführen zu können. Unser
Verteidigungsberichterstatter James Backbiter mit den Einzelheiten.«
Schnitt auf die Großaufnahme einer exotisch anmutenden Waffe in
den Händen eines Soldaten in der SpecOps-Armeeuniform.
»Dies ist das neue Plasmagewehr, das die Abteilung Spezialwaffen
der Goliath Corporation heute vorgestellt hat«, verkündete Backbiter
und trat neben den Soldaten; die beiden befanden sich anscheinend auf
einem Schießstand. »Wir können Ihnen aus verständlichen Gründen
nicht allzuviel darüber sagen, aber wir können seine Schlagkraft
demonstrieren und Ihnen verraten, daß es Panzer und gegnerische
Truppen mittels eines konzentrierten Energiestrahls aus bis zu einer
Meile Entfernung ohne weiteres außer Gefecht setzen kann.«
Fassungslos sah ich mit an, wie der Soldat die neue Waffe vorführte.
Unsichtbare Energiestrahlen trafen den Zielpanzer mit der Wucht von
zehn unserer Haubitzen. Als hätte man ein Artilleriegeschütz in der
Hand. Der Feuerstoß brach ab, und Backbiter stellte dem Colonel ein
paar offensichtlich abgesprochene Fragen, während im Hintergrund
Soldaten mit der neuen Waffe aufmarschierten.
»Wann sollen die Truppen der vorderen Linie mit dem Stonk
ausgerüstet werden?«
»Die ersten Waffen sind bereits unterwegs. Der Rest wird geliefert,
sobald wir die nötige Produktions-Kapazität aufgebaut haben.«
»Und abschließend: Wie wird sich das auf den Konflikt
auswirken?«
Eine kaum merkliche Regung huschte über das Gesicht des
Colonels. »Wenn Sie mich fragen, werden die Russen in spätestens
vier Wochen um Frieden betteln.«
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»Ach du Scheiße «, murmelte ich vor mich hin. In meiner Militärzeit
hatte ich diesen Satz unzählige Male zu hören bekommen. Er war
noch
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