01 - Der Geist, der mich liebte
Nicholas fest. »Und seit ich ihn das letzte Mal sah, ist er um keinen Tag gealtert. Über fünfzig Jahre, und er sieht noch immer aus wie damals ! Ich gebe zu, dass ich unglaublich zornig war, als ich ihn sah. Abgesehen davon hatte ich Angst um dich. Ich erinnere mich zu gut daran, wie er ... vor meinem Tod gewesen ist. Dass er den edlen Verehrer herauskehrt, passt zu seinen wechselnden Gesichtern, die ich von damals kenne. Ich wollte dich nicht in seiner Nähe wissen!«
»Du hast mich angegriffen, Nicholas.« Die Worte kamen mir nur schwer über die Lippen, aber es musste gesagt werden. Er sollte wissen, was er mir damit angetan hatte. Welche Angst er in mir ausgelöst hatte.
»Ich weiß.« Er wandte weder den Blick ab noch flüchtete er sich in Ausreden. »Es gab keine andere Möglichkeit. Ich wusste, du würdest mir nicht zuhören - nicht, nachdem ich vor deinen Augen versucht hatte, Adrian anzugreifen. Tess war meine einzige Hoffnung. Doch ich konnte das Haus nicht einfach verlassen, um zu ihr zu gehen.«
»Aber jetzt bist du doch auch ...«
»Das verdanke ich Tess.«
»Nicholas!«, rief ich verzweifelt. »Ich verstehe kein Wort!«
»Ich bin auch noch nicht fertig.« Als er weitersprach,
wich er meinem Blick aus. »Ich habe deinen Atem genommen. Noch nie ist mir etwas schwerer gefallen als das. Ich hatte Angst, zu viel zu nehmen, und als ich die Panik in deinen Augen sah, hätte ich beinahe aufgehört. Doch ich brauchte deinen Atem, wenn ich dir helfen wollte.«
Plötzlich war die Erinnerung an seinen Angriff wieder da. Die Gier in seinen Augen, der unerbittliche Griff, mit dem er mich fest an sich gepresst hatte, und der Druck seiner Lippen auf meinem Mund. Das alles war fast zu viel. Ich schloss kurz die Augen und zwang mich, ein paarmal tief durchzuatmen. Als ich die Augen wieder öffnete, hatte ich mich ein wenig beruhigt.
Nicholas hatte sich nicht von der Stelle gerührt. Er stand einfach nur da und wartete, bis ich bereit war, mir auch den Rest anzuhören.
»Erzähl weiter«, bat ich leise.
»Nachdem du fort warst, habe ich Tess angerufen - zum Glück hing ihre Nummer an der Pinnwand. Als sie hörte, dass du in Gefahr bist, hat sie sofort alles stehen und liegen lassen und ist gekommen. Mithilfe eines Rituals hat sie es geschafft, den Bann zu lösen, der mich an den Umkreis des Friedhofs fesselte. Dann sind wir zu Adrians Haus gefahren. Während Tess dich rausholen sollte, blieb ich dort, um mich umzusehen.
Ich kann mit Sicherheit sagen, dass es keinen Adrian junior gibt. Adrian ist mein Bruder! Er hat noch immer das Labor im Keller, nur dass es heute weit besser ausgestattet ist als damals. Dort liegen eine Menge Bücher herum. Schwarze Magie. Satanismus. Hexerei. Adrian hat sogar
eine Apparatur gebaut, mit der er seinen Trank braut. Den Trank, der ihm die Jugend erhält. In einem Nebenraum stehen riesige Käfigreihen voller Katzen.«
Allein bei der Vorstellung, wofür er die armen Tiere brauchte, sträubten sich meine Nackenhaare.
»Einige der Bücher lagen aufgeschlagen da. Ich habe nicht viel gesehen, doch es genügte, um eine Ahnung von dem zu bekommen, was er plant. Er hat einen Weg gefunden, die Wirkung dauerhaft zu machen. Alles, was er dazu braucht, ist das Blut einer Hexe oder deren Nachfahren.« Er hob den Kopf und sah mir in die Augen. »Sam, auf dem Tisch lagen einige Kopien alter Stammbäume der Baker-Familie. Darauf ...«
Ich hörte seine Worte gar nicht mehr. In dem Augenblick, als die Worte Blut, Hexe und Nachfahren gefallen waren, verstand ich endlich die Zusammenhänge. Ich kippte vor Schreck fast hintenüber. Es gelang mir gerade noch, mich an der Tischkante aufzufangen. Nicholas war schnell zur Stelle. Er bekam mich bei den Schultern zu fassen und hielt mich fest. Ich hätte mich über seine Nähe freuen oder mich davor fürchten sollen, aber ich konnte an nichts anderes als an Adrian denken. An ihn und an Tess' Geschichte über die Baker-Schwestern. Vor allem aber dachte ich an die dritte Schwester, meine Urahnin Sarah Larson, die mit den beiden Hexen nie etwas zu tun haben wollte. In deinen Adern fließt das Blut der Bakers! Das waren Tess' Worte gewesen. Zugleich war es der Grund, warum Adrian nicht aufgehört hatte, mich zu umgarnen. Es hatte nichts mit meinem Charme oder der Tatsache, dass er mich mochte,
zu tun. Er war kein bisschen an mir interessiert. Nur an meinem Blut!
Nicholas hielt mich noch immer fest. »Sam, diese Stammbäume ...«
»Ich weiß.« Mehr
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