01 - Gnadenlos
Szene setzen. Er behielt Irvin im Auge, der von Minute zu Minute ernster wurde, seine Übungen beinahe wie ein Roboter ausführte. Eine halbe Stunde später waren alle wirklich aufgelockert, und Irvin ließ sie sich zum Dauerlauf aufstellen.
»Leute, ich möchte euch ein neues Teammitglied vorstellen. Das ist Mr. Clark. Er wird mit mir den Dauerlauf anführen.«
Kelly nahm seinen Platz ein und flüsterte: »Ich hab keine Ahnung, wohin es gehen soll.«
Irvin lächelte spitzbübisch. »Kein Problem, Sir. Sie können uns ja hinterherhecheln, wenn Ihnen die Puste ausgeht.«
»Dann los, Knallkopf«, erwiderte Kelly, denn sie waren ja Profis unter sich.
Vierzig Minuten später führte Kelly immer noch. Von da an konnte er das Tempo bestimmen, und das war das einzig Gute daran. Ansonsten mußte er sich Mühe geben, nicht zu stolpern, was immer schwieriger wurde, da bei einer gewissen Ermüdung zuerst die Feinabstimmung des Körpers nachläßt.
»Links«, sagte Irvin und gab mit der Hand die Richtung an. Kelly konnte nicht wissen, daß der andere zehn Sekunden gebraucht hatte, um genügend Luft für dieses Wort zu schnappen. Irvin war ja noch dadurch zusätzlich belastet, daß er den Sprechgesang vorgeben mußte. Der neue Weg, nichts weiter als ein Trampelpfad, führte sie in Nadelwald.
Gebäude, o Gott, hoffentlich der Endpunkt. Selbst Kellys Gedanken konnten nur noch japsen. Der Weg schlängelte sich noch ein wenig dahin, aber da gab es Autos, das mußte es einfach sein. Aber was war das denn? Vor Überraschung wäre er beinahe stehengeblieben. Aus eigenem Ermessen rief er: »Im Gleichschritt, marsch!« um das Tempo der Formation zu drosseln.
Schaufensterpuppen?
»Kommando halt!« rief Irvin, »Rührt euch«, fügte er hinzu.
Nach vorn gebeugt, hustete Kelly ein paarmal. Er gratulierte sich im stillen zu seinen Dauerläufen im Park und um die Insel. Ohne die hätte er diesen Morgen nie durchgestanden.
»Langsam«, war alles, was Irvin ihm im Augenblick zu sagen hatte.
»Guten Morgen, Mr. Clark.« Es stellte sich heraus, daß eines der Autos echt war. James Greer und Marty Young winkten Kelly heran.
»Guten Morgen. Ich hoffe, Sie haben alle gut ausgeschlafen«, begrüßte sie Kelly.
»Sie haben sich ja freiwillig gemeldet, John«, beschied ihm Greer.
»Sie sind heute früh vier Minuten zu langsam«, bemerkte Young. »Aber nicht schlecht für einen Neuling.«
Kelly wandte sich halb angewidert ab. Es dauerte etwa eine Minute, bis er merkte, was dieser Ort darstellte.
»Verdammt!«
»Das ist Ihr Hügel.« Young zeigte mit dem Finger darauf.
»Die Bäume sind höher hier«, sagte Kelly, die Entfernung abschätzend.
»Der Hügel genauso. Es ist eine Geröllhalde.«
»Heute abend?« fragte Kelly. Es war nicht schwer, die Bedeutung der Worte des Generals zu erfassen.
»Meinen Sie, Sie packen es?«
»Das müssen wir erst noch herausfinden. Wann soll das Unternehmen losgehen?«
Greer nahm sich dieser Frage an. »Das brauchen Sie jetzt noch nicht zu wissen.«
»Welche Vorlaufzeit habe ich?«
Der CIA-Beamte überlegte kurz, bevor er antwortete. »Drei Tage, bevor wir hier aufbrechen. Wir werden in ein paar Stunden die einzelnen Punkte des Unternehmens durchgehen. Einstweilen schauen Sie zu, wie sich die anderen Männer so anstellen.« Greer und Young gingen zurück zu ihrem Wagen.
»Aye, aye«, rief Kelly ihnen nach. Die Marines waren schon dabei, Kaffee zu machen. Kelly holte sich einen Becher und mischte sich unter die Einsatztruppe.
»Nicht schlecht«, meinte Irvin.
»Danke. Ich hab mir immer gedacht, das ist eines der allerwichtigsten Dinge, die einer in diesem Geschäft wissen muß.«
»Was denn?« fragte Irvin.
»Davonrennen, so weit und so schnell du kannst.«
Irvin lachte. Dann kam der erste Arbeitsgang des Tages, der den Männern eine Verschnaufpause verschaffte und sie zum Lachen brachte. Sie mußten die Schaufensterpuppen herumschieben. Es war schon genau festgelegt, welche Frau zu welchem Kind gehörte. Sie hatten herausgefunden, daß die Puppen beweglich waren, und die Marines machten sich einen Mordsspaß daraus. Zwei von ihnen hatten neue Kleidungsstücke dabei, ziemlich knappe Bikinis, die sie mit großem Hallo zwei sich rekelnden weiblichen Puppen überstreiften. Kelly sah mit ungläubigem Staunen zu, dann erkannte er, daß die Körper der Bademodenpuppen bemalt waren, um alles noch wirklichkeitsgetreuer zu machen. Mein Gott, dachte er, und da heißt es immer, Matrosen hätten eine
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