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01 Nightfall - Schwingen der Nacht

01 Nightfall - Schwingen der Nacht

Titel: 01 Nightfall - Schwingen der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adrian Phoenix
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nächsten glitt. »Ich war dabei, Dan, von Anfang an«, sagte sie. »Geschreddert ist wesentlich akkurater.«
    Ein Bild schaffte es, ihre weiße Barrikade Stille zu durchdringen:
     
    Ein schlanker zwölfjähriger Junge in einer blutbespritzten Zwangsjacke, kopfüber von der Decke baumelnd, Ketten um die Fesseln. Langes schwarzes Haar hängt ihm ins Gesicht. Nur einige blut- und schweißnasse Strähnen kleben an seiner Stirn, seinen blassen Wangen. Er ist starr, jeglicher Kampfgeist, jeglicher Zorn, jegliche Trauer sind wie Blut aus einem Leichnam entwichen.
    Nachdem man ihn genügend bestraft hat, will ihn niemand herunterholen. Die blutbefleckten Wände und die Leichen auf dem Betonboden lassen alle auf der sicheren Seite der Stahltür verharren.
    Johanna tritt allein ein und jagt allein eine Spritze mit Beruhigungsmitteln in den Hals des Knaben. Allein löst sie die Ketten des Jungen vom Fleischerhaken und lässt ihn langsam herunter. Das wunderschöne Vampirkind ist benebelt und träumt, dem Wahnsinn der bevorstehenden Jugend anheimgefallen.

    Sie nimmt den Jungen in die Arme und trägt ihn in eine andere Zelle. Zitternd pulsieren wieder Magie und Mysterien durch ihre Adern, in ihrer Vorstellung glitzernd wie weiße Weihnachten. Die Psyche des Jungen ist für sie wie ein Adventskalender: Hinter jedem Türchen, das sie öffnet, aufreißt oder niederbrennt, zeigt sich eine wundervolle Überraschung.
     
    Johanna fuhr sich mit den Fingern durch das kurze Haar und musterte ihr verschwommenes Spiegelbild in der Fensterscheibe. Attraktiv, Anfang dreißig, nordisch blond und blauäugig, groß und schmal. In körperlicher Hinsicht das genaue Gegenteil ihres père de sang . Aber sie und Ronin besaßen beide einen enormen Wissensdurst. In dieser Hinsicht ähnelten sie einander sehr.
    Große Mattigkeit breitete sich in ihr aus. Sie brauchte Blut und Schlaf . Sie übertrieb es langsam mit den Pillen. Man konnte den Schlaf nur eine Weile hinausschieben – nicht für immer.
    »S’ Gedächtnis ist nicht das Problem«, sagte sie und wandte sich wieder Gifford zu. »Es Cross-Country-Killer-Karriere und das Interesse des FBI an dem Fall sind das eigentliche Problem. Ich weiß nicht wie, aber E hat das FBI mehr oder weniger direkt zu S geführt.«
    »Willst du E Einhalt gebieten?«
    Johanna schüttelte den Kopf. »Ich würde gern seine Entwicklung weiter beobachten. Aber es macht mich nervös, dass das FBI so dicht an ihm dran ist.«
    »Ich verstehe«, sagte Gifford. Er beugte sich vor. Sein gelassener Blick richtete sich auf Johanna. »Was sollen wir dagegen tun?«
     
    Lucien saß aufrecht im verdunkelten Wohnzimmer und hielt die Augen geschlossen, während er diejenigen bewachte, die
in dem Zimmer über ihm schliefen. Tief schliefen. Außer einem. Dantes vom Schlaf verwirrte Gedanken strichen durch Luciens Bewusstsein. Er spürte seinen Kampf, wach zu bleiben, konzentriert. Diese gottverdammte Frau und ihr gottverdammter Durchsuchungsbefehl. Luciens Finger zuckten und krallten sich in die Armlehnen des Ohrensessels, in dem er saß. Er holte tief Luft und streckte die Finger dann vorsichtig. Ruhig.
    Er wusste, wie schwierig und widerspenstig Dante sein konnte – das Kind hatte seine Geduld immer wieder auf eine harte Probe gestellt. Agent Wallace hatte einfach auf Dantes Weigerung zu kooperieren reagiert.
    Aber warum wollte sie den Hof durchkämmen? Was hoffte sie, dort zu finden, und was hatte all das mit Dante zu tun?
    Lucien öffnete die Augen und starrte ins Dunkel des Zimmers, vor dessen Fenstern die Vorhänge zugezogen waren. Schatten lagen auf der Couch, den Bücherregalen und den Stehlampen und verbargen jegliche Farbe. Draußen zwitscherten und sangen die Vögel, gingen geschäftig ihren morgendlichen Aufgaben nach.
    Für einen Augenblick sehnte er sich danach, die Luft dort draußen einzuatmen, einmal wieder das warme Licht eines Sonnenaufgangs im Gesicht zu spüren, sein Wybrcathl in die goldene Sonne zu singen und die antwortende Arie eines anderen Elohim zu vernehmen.
    Aber sein Wybrcathl musste stumm bleiben. Das Kind, das er bewachte, durften die Elohim nicht entdecken; sie durften nichts von ihm erfahren. Lucien berührte den Anhänger, der um seinen Hals hing, und strich mit den Fingern über die rauen Kanten des X. Das Metall fühlte sich warm und glatt an.
    X, die Rune für Partnerschaft – vier Jahre zuvor hatte er sie von Dante erhalten, ein unerwartetes, schönes Zeichen ihrer Freundschaft. Luciens

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