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01 Nightfall - Schwingen der Nacht

01 Nightfall - Schwingen der Nacht

Titel: 01 Nightfall - Schwingen der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adrian Phoenix
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Finger umfassten den Anhänger, die Kanten schnitten in sein Fleisch. Er senkte den Kopf und schloss
wieder die Augen, erinnerte sich an das wilde Anhrefncathl , auf das er fünf Jahre zuvor geantwortet hatte … an einen Anlegeplatz am Mississippi.
     
    Ein Halbwüchsiger in Lederhose, abgewetzten Stiefeln und T-Shirt sitzt im Schneidersitz auf dem verzogenen, wettergegerbten Holz des Anlegestegs. Etwas, mit dem er spielt, blinkt und zittert bläulich zwischen seinen Fingern.
    Lucien landet leichtfüßig auf dem Steg. Mit dem letzten Flattern breitet er noch einmal seine Fittiche aus, bevor er sie auf seinem Rücken zusammenfaltet. Wasser leckt und spritzt gegen die Pfähle des Anlegeplatzes. Die Luft riecht streng nach Fisch, trübem Wasser und fruchtbarem Schlamm.
    Der Jüngling blickt nicht auf. Schwarzes Haar verbirgt sein Antlitz. Er hält den Kopf gesenkt, während er sich auf das konzentriert, was sich da in seinen Händen windet.
    Lucien tritt näher. Das Holz unter seinen bloßen Füßen ist noch sonnenwarm. Der Jüngling strahlt Leiden und Kraft aus – klar, stachelig und fiebrig. Blut tropft ihm aus der Nase auf seinen Handrücken.
    Das blaue Licht leuchtet in seinen Händen, das Chaoslied steigt wirbelnd um ihn auf, gequält, sehnsüchtig und herzzerreißend. Lucien kommt noch näher. Seine Muskeln spannen sich. Feuer lodert in seinen Venen. Das letzte Mal, hatte er vor Tausenden von Jahren bei einem Creawdwr , der inzwischen schon lange tot war dieses blaue Glühen gesehen und einen Anhrefncathl gehört.
    Ist endlich ein neuer geboren? Heimlich, in der Welt der Sterblichen?
    Luciens Fittiche schieben sich in ihre Scheiden auf seinem Rücken, als er vor dem Jungen in die Hocke geht. Mit Hilfe seiner Schutzschilde stößt er die ungewollten Schmerzen des Jünglings fort.

    »Kind.«
    Der Junge mit dem nachtschwarzen Haar antwortet nicht. Seine Hände öffnen sich, und das blaue Licht wird schwächer und verschwindet dann – wie eine ausgeblasene Kerzenflamme. Das Ding, das er festhält, huscht davon. Seine schwarz glänzenden Augen schimmern im Mondlicht.
    Eine Ratte, begreift Lucien überrascht. Oder zumindest war es einmal eine. Die frühere Ratte huscht zum Rand des Anlegestegs und springt. Ihre vielen durchsichtig zarten Libellenflügel tragen sie unsicher fort in die Nacht.
    Durch die Berührung eines Creawdwrs für immer und ewig verändert.
    »Kind«, sagt Lucien noch einmal und hebt mit einem seiner Krallenfinger das Kinn des Jungen an.
    Das Wiedererkennen erstaunt ihn so sehr – die dunklen, klugen Augen, die Wangenknochen, der Schwung der Lippen –, dass er den Jungen nicht einmal abwehrt, als dieser sich erhebt. Lucien fällt auf den Rücken, als der Junge die starken, schlanken Arme um ihn schlingt und seine Reißzähne in Luciens Hals bohrt.
    Der Junge fühlt sich erhitzt an, während er Luciens Blut trinkt – erhitzt, hungrig und tief traurig. Lucien hält ihn einen Augenblick lang und erlaubt ihm, sich von ihm zu nähren. Er gestattet ihm, ihn mit seinen Schenkeln auf dem harten Holz des Stegs festzuhalten. Er riecht nach Herbstfeuer und Novemberfrost – klar, makellos und berauschend. Seine Qual und der kurz bevorstehende Wahn schlagen unaufhörlich auf Luciens Schutzschilde ein.
    Er sieht aus wie sie.
    Das ist unmöglich.
    Ihr Sohn …
    Sanft löst Lucien den eisernen Griff des Jünglings und legt eine Hand auf dessen fiebrige Schläfe. Er lässt heilende Energie
in den Jungen fließen, um das tobende Feuer in seinem Inneren zu löschen und ihn in den Schlaf zu wiegen. Der Jüngling fällt auf ihn, sein blutverschmiertes Gesicht hinterlässt eine rote Spur auf Luciens Schulter und Brust.
    Er streicht das zerzauste schwarze Haar beiseite und betrachtet das bleiche Gesicht des Kindes. Verwundert starrt er es an und folgt mit einem Finger der Linie des Kieferknochens. Dann schiebt er die Lippe nach oben und sieht sich die spitzen Reißzähne an. Eiseskälte breitet sich in Lucien aus.
    Wo ist seine Mutter?
    Genevieve …
     
    Lucien öffnete die Augen, die Finger noch immer um den Anhänger gelegt. So vieles war unbekannt und ungesagt. Er hätte Dante die Wahrheit sagen sollen, als sie einander kennenlernten. Jetzt befürchtete er, es könnte bereits zu spät sein. Der richtige Augenblick war vorüber. Seufzend ließ er den Anhänger nach einer letzten Liebkosung los.
    Er lauschte auf die Stille im Haus – das Ticken der Pendeluhr in der Eingangshalle, das Knarren des alten Holzes und

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