01 Nightfall - Schwingen der Nacht
den schlechten Geschmack des Tages aus dem Mund.
Zum Soziopathen erzogen. So nannte Bad Seed ihn.
Zum Soziopathen geboren. So nannte Bad Seed Dante.
Aber sie irrten. Er schüttete den Rest seines Drinks hinunter. Der klare Geschmack des Gins klärte seinen Kopf. Sie lagen falsch. Er stellte das Glas ab und ging erneut ins Bad. Das fluoreszierende Licht surrte leise. Im Spiegel zeigten sich Es umschatteter Blick und sein blutüberströmter Nacken. Er grinste. Schaltete das Licht aus. Schaltete es wieder an. Grinste erneut.
E befeuchtete ein Handtuch unter dem Wasserhahn und wischte sich das Blut aus dem Nacken. Dante war nicht der einzige Blutgeborene. Bad Seed hatte E nicht aus dem kleinen grinsenden Elroy erschaffen. E hatte schon vorher existiert und war damit beschäftigt gewesen, den kleinen grinsenden Elroy zu vertreiben.
Er wusch das Handtuch im Waschbecken aus. Blutiges Wasser lief gurgelnd in den Abfluss. Vorsichtig tupfte er die Wunde an seinem Nacken ab und saugte dabei Luft durch die zusammengebissenen
Zähne. Verdammt, wenn das nicht höllisch wehtat!
Es kleine Schwester war nicht am plötzlichen Kindstod gestorben. Er hatte sie erstickt. Hatte ihre Schmusedecke auf ihr Gesicht gedrückt, bis sie aufhörte, sich zu winden und mucksmäuschenstill geworden war. Daran erinnerte er sich, es gehörte zu seinen frühesten Erinnerungen. Seltsam, dass er sich nicht an seine Eltern erinnern konnte. Aber, he – so was konnte passieren! Wenn er sie umgebracht hätte, würde er sich vielleicht auch an sie noch erinnern.
Er hängte das Handtuch mit den ausgewaschenen Blutflecken über den Waschbeckenrand und drehte den Hahn ab. Er würde sich wahrscheinlich Verbandszeug holen müssen. Hatte Dante wohl auch einen Verband gebraucht, nachdem er sich den Sender herausgezogen hatte? Vampire heilten angeblich rasend schnell; vielleicht war es also unnötig gewesen.
Bad Seed hatte versagt. Sie hatten nicht nur einen geborenen Psychopathen, sondern in Wirklichkeit zwei Blutgeborene – einen Vampir und einen Soziopathen –, und sie hatten gerade die Kontrolle über ihr hübsches Projekt verloren.
E nahm die Aktenmappe und die schwarze Mappe, die er aus Tom-Toms Schrank geholt hatte, und öffnete die Motelzimmertür mit einer vollen Hand und einem Tritt seiner Nikes. Er eilte über den halbleeren Parkplatz, wobei unter seinen Sportschuhen der Kies knirschte. Während er Akte und Tasche auf seinem angewinkelten Schenkel balancierte, schloss er den Jeep auf und öffnete die Tür. Er legte die Akte auf den Rücksitz und warf die Tasche daneben.
Die schwarze Mappe war voller Leckerbissen, mit denen man einen Vampir lahmlegen konnte. Medikamente – nur Medikamente natürlichen Ursprungs oder speziell für den Blutsaugermetabolismus entwickelte Pillen funktionierten nämlich
– , Handschellen – keine gewöhnlichen für Menschen, oh nein – und eine Zwangsjacke. Eine besondere Zwangsjacke.
Zuerst hatte E vorgehabt, Ronin während des Tages einen Überraschungsbesuch abzustatten und ein paar der netten Spielzeuge an diesem schwarzen Vampirarsch auszuprobieren. Aber dann war ihm eine andere Idee gekommen.
Eine bessere.
Er wollte sich dumm stellen – zum Mietwagen gehen, alle Sachen wieder hineinlegen und so tun, als hätte er keine Ahnung. Bis zum richtigen Moment … bis zu dem Moment, in dem es Tom-Tom gelang, Dante nach Hause zu bringen oder in dem Dante beschloss, durch Ronins Fenster einzusteigen, um ein paar Dinge zu erledigen.
So oder so würde E bereit sein.
Er setzte sich hinters Steuer und ließ den Motor an. Der Jeep sprang an, und der durchdringende Geruch von Benzin und Abgasen stieg weiß in die kühle Luft. Er warf einen Blick auf die Zeitung auf dem Beifahrersitz und las noch einmal die Schlagzeile.
CROSS-COUNTRY-KILLER TOT IN FLORIDA
Echt?
Ein kratzendes Geräusch, als führe eine Dampfwalze über Kies, erfüllte das Innere des Jeeps. E zwang sich, den Mund zu öffnen. Das Geräusch hörte abrupt auf. Er war wütend genug, um mit den Zähnen zu knirschen. Entweder hatte irgendein Idiot gewagt, sein Werk zu kopieren und hatte sich dabei erwischen lassen …
Oder jemand wollte das FBI von dem Fall abziehen … Heather von ihm weglocken. Dieser Jemand musste die Bad-Seed-Mama sein, Johanna.
Wenn er weiter Menschen abschlachtete, würde bald offensichtlich sein, dass er nicht tot war. Es sei denn, Bad Seed plante, ihn nie mehr morden zu lassen.
Schweißperlen traten ihm auf die Stirn.
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