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01 Nightfall - Schwingen der Nacht

01 Nightfall - Schwingen der Nacht

Titel: 01 Nightfall - Schwingen der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adrian Phoenix
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zu. Es hatte Jahwe nicht vor den höfischen Intrigen der Elohim und seinem eigenen zerfallendem Bewusstsein retten können.
    Auch Jahwe hatte ihn Freund genannt.
    Luciens Finger schlossen sich um den kalten Anhänger um seinen Hals. Es war Zeit, Dante die Wahrheit zu sagen. Es war Zeit, Dante seinen Namen zu geben. Seine Gedanken wandten sich erneut Genevieve zu, der schönen jungen Sterblichen, die eine kurze Zeit geliebt hatte. Dante war ein Blutgeborener, ein Vampir von Geburt an. Was bedeutete, dass jemand Genevieve während ihrer Schwangerschaft gezeugt haben musste.

    Lucien ließ den Anhänger los. Wo war Genevieve? Ob sterblich oder Nachtgeschöpf – sie hätte ihren gemeinsamen Sohn nie aus eigenem Antrieb im Stich gelassen. Nicht, solange sie lebte.
    In seinem Herzen schwelte düstere Gewissheit. Genevieve, die lachende, wissbegierige Absolventin der Ursulinenakademie, atmete nicht mehr. Er erinnerte sich an den Geißblattduft ihres dunklen Haars, die Wärme ihrer Umarmung, die Fragen in ihren dunklen Augen.
    Wenn es dich gibt, Lucien, muss es auch Gott geben.
    Jahwe ist tot, meine Kleine. Die Sterblichen müssen ihre eigenen Götter werden.
    Die Kirche will Gott sein. Aber sie ist leer. Ich habe es gespürt, als ich zum ersten Mal in einer Kirchenbank kniete. Aber Liebe existiert. Liebe und Glaube.
    Glaube an einen toten Gott?
    Nein, ma chérie . Aneinander.
    Kalter Wind stach Lucien in die Augen und vereiste die Nässe auf seinem Gesicht. Dante würde ihm nie verzeihen. Weil er nichts gesagt hatte. Weil er ihn getäuscht hatte. Weil er nicht gewusst hatte, dass es ihn gab. Wäre das Buße genug, geliebte Genevieve? Wenn ich den Hass unseres Sohnes auf mich ziehe, er dafür aber lebt und bei Verstand bleibt? Wird das reichen?
    Ich wollte immer zu dir zurückkehren …
    Lucien öffnete seine Verbindung zu Dante durch einen Energieblitz. Ein scharfer, kristallklarer Schmerz detonierte in seinem Inneren. Wut, untröstlich und allumfassend, heulte durch seinen Kern. Dantes innere Schilde waren gefallen und zerstört.
    Fassungslos und überwältigt von der Kakophonie, die ihm entgegenschlug, kam Lucien ins Taumeln und jagte auf die glitzernde Stadt unter ihm zu.

20
DAS FINSTERSTE HERZ
    »Unter stillen Wassern liege ich
die Finger meiner Mutter verankern mein Haar
auf den Porzellanboden
sie schlägt Wellen über mir
eine Göttin
keine Frau
versucht, den Makel des Blutes abzuwaschen
Unter stillen Wassern liege ich
meine Mutter, mein Anker
ich schließe die Augen
und atme
unter stillen Wassern … «
    E las das Gedicht laut und übertönte dabei das gurgelnde Pfeifen, das vom Sofa kam. Er klappte das Buch zu und schob es wieder in seine Tasche.
    »Ich liebe Navarros Gedichte«, sagte er zu dem röchelnden Ding auf dem Sofa. »Es spricht zum finstersten Herzen.«
    E lehnte sich auf dem Sessel zurück, neigte den Kopf zur Seite und betrachtete sein jüngstes Werk. »Ding« war der richtige Ausdruck. Er hatte alles entfernt, was Keith zum Mann gemacht hatte und es kunstvoll im Zimmer drapiert. Auf dem Couchtisch neben einer Kerze. Auf dem Bücherregal neben
einem gerahmten Foto von Keith und einem anderen Mann … Liebhaber? … Bruder? … Wen interessierte das?
    Er lächelte. Na ja, Keith wahrscheinlich schon.
    Das Würgen und Pfeifen ließ nicht nach. E strich sich mit den Händen, die in Latexhandschuhen steckten, über die Plastikschürze, die er trug. Darunter war er nackt. So wurden seine Klamotten nicht schmutzig, und außerdem hatte es etwas Befreiendes. Er beugte sich vor und suchte so lange in seiner Tasche, bis seine Finger fanden, wonach ihm der Sinn stand. Er holte einen Akkubohrer heraus und schaltete ihn ein. Die Maschine begann, schrill zu surren und sich zu drehen. Er zog die Lötbrille vor die Augen, die er hochgeschoben hatte, und trat zum Sofa.
    Tot, ja?
    Der Fall war abgeschlossen, ja?
    Das Keuchen und Röcheln wurde lauter und unbändiger.
    »Es ist Zeit, dass du mir ein Gedicht aufsagst«, murmelte E und senkte den Bohrer.

21
IN UNGNADE
    Lucien fiel. Die Welt drehte sich unter ihm. Die Stadt verschwamm zu einem verwirrenden Lichtpunkt. Kalte Luft schlug ihm ins Gesicht, kühlte seine Wangen und überzog sein Haar und seine Flügel mit einer dünnen Eisschicht.
    Dantes Schilde waren zerstört. Erinnerungssplitter stiegen aus der Tiefe auf und glitten durch sein Bewusstsein. Schmerz verschlang Dante von innen heraus – Schmerz, der so heftig war, dass es Lucien aus dem Himmel auf

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