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01 Nightfall - Schwingen der Nacht

01 Nightfall - Schwingen der Nacht

Titel: 01 Nightfall - Schwingen der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adrian Phoenix
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zu.
    Ihre Fingerkuppen glitten über Metall. Sie sah auf den Boden vor sich. Eine völlige verdreckte Feile lag neben ihrer Hand. Sie schlang die Finger darum und griff entschlossen zu.
    Dann setzte sie sich auf, drehte die Feile um, nahm sie wie ein Messer in die Hand und schob sie unter die Rohrhalterung. Mit aller Kraft begann sie, das Instrument nach hinten zu drücken. Die Feile ließ die Farbe am Rohr und der Halterung absplittern, während Heather mit zusammengebissenen Zähnen die Feile zur Seite drehte.
    Gib nach, verdammt!
    Ein Teil der Haltung löste sich plötzlich vom Gebäude. Die Feile schnitt durch die Luft, und Heather stürzte auf die Ellbogen. Ohne zu zögern, zog sie die Handschellen am Abflussrohr nach unten und heraus.
    Sie sprang auf und rannte zum hinteren Teil des Schlachthauses. Dort machte sie einen Satz, erwischte die letzte Stufe der Feuerleiter und zog. Die Leiter glitt herunter, allerdings mit einer Lautstärke wie ein Mülltonnendeckel, der um vier Uhr früh scheppernd auf die Straße fällt. Sie umfasste die kalten Sprossen und kletterte los, wobei die baumelnden Handschellen immer wieder scheppernd gegen das Metall schlugen.
    Als sie aufs Dach geklettert war, fielen ihr als Erstes Glasscherben auf, die der Mond beleuchtete. Sie bemerkte, dass ein Oberlicht in der Mitte des Daches kaputt war und ein großes Loch hatte.

    Berstendes Glas. Dante.
    Heather hielt alle paar Schritte inne, um den Rhythmus zu unterbrechen. Schließlich wollte sie nicht, dass Ronin von ihrer Flucht erfuhr. Sie hockte sich hin und suchte nach einem schimmernden Metallstück, ihrem Achtunddreißiger – und entdeckte ihn tatsächlich in der Nähe des kaputten Oberlichts zwischen den Glasscherben.
    Sie stand auf und schlich in ihrem bewusst arhythmisch gehaltenen Schritt-Schritt-Pause-Schritt-Pause-Gang weiter. Dann schob sie die Hand in die Tasche ihres Trenchcoats und holte das Magazin heraus. Sie kniete sich hin, wobei sie versuchte, auf den Glasscherben kein knirschendes Geräusch zu machen, hob die Waffe und schob das Magazin hinein.
    Ein Schrei durchschnitt die Stille – verzweifelt und wund, erfüllt von dem Wunsch, etwas nicht wahrhaben zu wollen. Sie erstarrte, ihr Puls raste. Das Geräusch verstummte nach mehreren, eine halbe Ewigkeit dauernden Sekunden, und verwandelte sich in ein leises, zornbebendes Heulen.
    Dante.
    Mit pochendem Herzen sprang Heather auf und rannte zur Leiter. Halb steigend, halb springend kletterte sie die Sprossen hinunter und machte einen Satz auf den Boden, raste um die Ecke und rannte dann die Gasse hoch zum Nebeneingang, wo sie so leise es nur ging das Schlachthaus betrat.
     
    Als er Dantes verzweifeltes Heulen vernahm, stellten sich Ronin die Nackenhaare auf. Ihm gefror das Blut in den Adern. Fast hätte er den Jungen losgelassen. Fast. Wahnsinn und Zorn lagen in diesem Schrei, der unheimlich schaurig im Schlachthaus widerhallte. Selbst Etienne war offenkundig entsetzt, und seine hämischen Bemerkungen verstummten.
    Ronin stolperte in Dantes Bewusstsein, als die Schilde, gegen die er gedrückt hatte, zusammenbrachen. Schmerz flog ihm
auf sein Eindringen hin wie ein aufgebrachter Wespenschwarm entgegen. Bilder wirbelten in zerbrochenen Fragmenten durch Dantes Geist, die Ronin kaum zu entziffern vermochte.
    Ein Anarchiesymbol, das in einen blassen Oberkörper geschnitten ist …
    Ein herabfallender Blutstropfen verwandelt sich in eine metallisch aussehende Wespe und fliegt davon …
    Ein zerbrochenes Fenster, das jedoch über den ganzen Horizont reicht …
    Zitternd und schwindlig zog sich Ronin wieder aus Dantes Bewusstsein zurück. Johanna hatte ganze Arbeit geleistet. Der Junge war zerstörter und kaputter, als er gedacht hatte. Er war ernüchtert. Dantes Schilde waren gefallen, aber die Erinnerung verbarg sich noch immer hinter schwer verständlichen Symbolen. Er war wach, doch er sah alles nur in Tarotkarten-Bildern – eindrucksvoll, aber verwirrend. Die wahre Erinnerung lauerte noch in seinem Unbewussten.
    Vielleicht musste er noch stärker angestoßen werden?
    Er krallte seine Finger in Dantes seidiges Haar und riss dessen Kopf zurück, so dass der Hals angespannt war. Der Junge wehrte sich gegen Ronins und Etiennes festen Griff. Seine Muskeln krampften.
    Du wirst mein Blut nie schmecken.
    Ronin bohrte die Fänge knapp über dem Bondagekragen in Dantes Hals. Heißes Blut, das nach schwarzen, sonnenwarmen Trauben schmeckte und mit Adrenalin und Zorn gewürzt war,

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