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01 Nightfall - Schwingen der Nacht

01 Nightfall - Schwingen der Nacht

Titel: 01 Nightfall - Schwingen der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adrian Phoenix
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gesprenkeltem braunen Rand sah er sie an. Er ließ sie los und berührte mit bebenden Fingern ihr Gesicht, strich ihr einige Strähnen aus dem Gesicht.
    »Heather«, wisperte er.
    In Heathers Armen kribbelte es unangenehm, als ihr Blut wieder zu zirkulieren begann. Sie senkte die Waffe. Die Erleichterung und Verwunderung in Dantes Stimme zeigten ihr, dass er sie für tot gehalten hatte. Sie konnte sich genau vorstellen, was Ronin behauptet hatte: Habe draußen die Agentin erwischt. Ihr Hals brach wie ein Streichholz.
    Warum hatte er sie nicht umgebracht?
    Heather berührte mit kalten Fingers Dantes Wangen. »Du bist verletzt«, sagte sie. »Lass uns …« Einen Augenblick lang
spürte sie nur noch glatte, erhitzte Haut, im nächsten bereits nur noch Luft.
    »Lauf so weit weg, wie du kannst.« Seine Stimme klang gepeinigt.
    Sie wandte sich dem Klang zu. Dante stand im Eingang, die Hände in die Hüften gestemmt. Sie öffnete den Mund, um zu protestieren, doch es war bereits zu spät.
    Dante war fort.

22
ANGE DE SANG
    Luciens Lied schwelte in Dante, der Rhythmus war schwach und wurde immer leiser wie die erlöschende Glut eines Feuers, das stetig seit Jahrhunderten – nein, Jahrtausenden – gebrannt hatte. Er rannte die Stufen der Kathedrale hinauf, bis er vor dem versperrten Portal stand. Er sah empor. Vor den Fenstern waren Holzläden.
    Das Bild eines Raumes mit Kuppeldach – SANTUSSANCTUS-SANCTUS – blitzte immer wieder vor Dantes innerem Auge auf und ging dann in goldenen Regen über. Er berührte seine Verbindung zu Lucien, die aber geschlossen war. Er warf sich dagegen, doch das Siegel hielt.
    Stimmen wisperten und rauschten. Wespen krochen.
    Lucien , mon cher ami …
    Jays grüne Augen, ruhig und voller Vertrauen, selbst als ihr Licht erlosch, kamen Dante in den Sinn.
    Ich wusste, du würdest kommen.
    Würde er auch Lucien im Stich lassen? Würde er auch bei ihm zuschauen müssen, wie das Leben in seinen Augen erlosch?
    Weißes Licht brannte rätselhafte Zeichen an die Ränder von Dantes Sichtfeld. Blut troff auf den Boden unter seinen Füßen. Stimmen riefen, schrien und murmelten hinter ihm, und doch war ihr Gerede ohne Sinn. Er fasste nach der Klinke am Portal und drückte.

    Dante musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, dass Sterbliche den MG umkreisten, der vor den Stufen geparkt war, die zu der Kirche hinaufführten. Er witterte sie – Blut und Schweiß, Alkohol und Verzweiflung. Er hörte ihre Herzen, klopfend und hämmernd, ein ungleichmäßiger Rhythmus, der das Summen ihrer Stimme in der Nacht untermalte.
    Mit einem geräuschvollen Knacken gab das Schloss nach. Dante schwang das schwere Portal auf und betrat den goldenen Raum, den er in seinem Inneren gesehen hatte, ehe ihm ein weißer, heißer Schmerz, der nicht der seine war, den Atem und sein Lied geraubt hatte.
    Ein goldener Cherubim stand im Hauptschiff neben den dunklen, spiegelblanken Kirchenbänken. Ein scharfer Duft von Weihrauch und Kerzenwachs – Sandelholz, Rosenöl und Trauer – erfüllte die Kathedrale. Stille breitete sich wie Watte aus und dämpfte die Geräusche, die von draußen hereinkamen, verstärkte aber dafür Dantes Herzschlag um ein Vielfaches.
    Er sah auf. Bernsteinfarben standen auf einem gebogenen Deckenbalken die Worte SANCTUS SANCTUS SANCTUS. Ein Loch war in die goldene Decke gerissen, wodurch die ovalen Bilder Christus’, Marias oder irgendeines Heiligen zerstört worden waren. Sein Blick wanderte zu den zersplitterten Kirchenbänken auf der linken Seite des Hauptgangs. Hinter ihnen war die Spitze eines schwarzen Flügels zu sehen – wie ein fernes Segel am Horizont.
    Dante rannte den schwarz-weiß gefliesten Boden entlang bis zur Mitte der Kathedrale, wo er schlitternd neben den zerstörten Bänken anhielt. Auf Teilen einer geborstenen Bank lag regungslos Lucien auf der Seite. Ein zerzauster Flügel war offen auf dem Boden ausgebreitet, das lange schwarze Haar verbarg sein Gesicht.
    Dante stockte der Atem. Ein dicker, langer Holzsplitter hatte sich in Luciens Rücken gebohrt und war unterhalb des Brustbeins
wieder ausgetreten. Blut befleckte die Spitze des Pfeils. Mit jedem langsamen Schlag von Luciens Herzen zitterte das Holz ein wenig, und Licht funkelte in dem X-Anhänger um seinen Hals.
    Dante stürzte über den mit Holz und Mörtel übersäten Boden auf Lucien zu und kniete sich neben dessen regungslose Gestalt. Er streckte die Hand aus, um seinem Freund das Haar aus dem Gesicht zu streichen. Seine

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