01 - Schatten der Könige
Waage. Nachdem er mich mit Hilfe des Auges in mein eigenes Reich zurückschickte, gründete er die magische Gemeinschaft von Trevada und gab das Kristallauge in ihre Obhut. Als die Mogaun-Horden tausend Jahre später einfielen, besiegelte die Angst der Magier davor ihr Schicksal.«
»Warum willst du das Auge?«
Sie konnte seinen abschätzenden Blick fühlen, aber sie rührte sich nicht, sondern wartete. »Die Akolythen ziehen nur wenig oder so gut wie keinen Nutzen daraus, und die Schattenkönige betrachten es als ein eher lästiges Ärgernis, das nur vor dem Zugriff eines Magiers bewahrt werden muss. Dennoch ist es ein Quell der Niederen Macht, der uns unschätzbare Dienste bei der Erneuerung der Pracht des Dämonenreiches leisten könnte. Wenn wir das Labyrinth der Prüfungen verlassen, im Herzen der Basilika, wird das Auge mir gehören.«
»Und ich? Werde ich leben oder sterben oder… schlimmeres?«
»Unterschätze nicht die Zerstörung des Fleisches für den Tod des Geistes. Ich habe deine Essenz mit meiner eigenen gestärkt und jeden Schaden beseitigt, den deine Gestalt erlitten hat. Dies genügt zumindest, um das Labyrinth zu überwinden.«
Die Haut ihres Gesichtes fühlte sich kalt an, ebenso die ihres gesamten Körpers. Alles war kalt und gefühllos. Sie hätte gern geweint, vermochte es jedoch nicht.
»Und wenn alles vorüber ist?«, fragte Keren zitternd. »Was dann?«
»Ich werde deinen Körper exakt auf die Art neu erschaffen, wie er gewesen ist, damit du dein Schicksal selbst entscheiden kannst. Falls du es wünschst, kannst du unsere Gestalt annehmen, eine der Dämonenbrut werden und mit mir in unser Reich zurückkehren. Deine Essenz hat bereits viel aus unserem Pakt gewonnen, also ist bereits genügend Potenzial in dir vorhanden.«
Keren fühlte einen schwachen Ekel. »Wenn nicht, werde ich dich jemals wieder los?« »Niemals.« Seine Stimme klang einen Hauch amüsiert.
Sie stand auf und drehte sich zu dem Prinzen der Dämonenbrut um. Orgraaleshenoths gespenstische Gestalt füllte beinahe den ganzen Tunnel aus, obwohl er an der Wand hockte.
»Weißt du, was Sklaverei ist?«, erkundigte sie sich.
»Weder das Wort noch der Zustand existiert in unserem Reich. Dort gibt es nur Stärke, Achtung und Gehorsam.«
Die kalten, bernsteinfarbenen Augen starrten auf sie herab, und einen Moment wandte Keren voller Verzweiflung ihren Blick ab. Niemand kann mich retten, dachte sie. Mir bleibt nur, mich zu fügen … Sie schob sich an der großen Gestalt vorbei, und ging durch den Tunnel zur nächsten Station. Rasch zog sie ihr langes Hemd über den Kopf, warf es beiseite und lief vollkommen nackt los. Dunkles Lachen folgte ihr, während der tödliche, schimmernde Schleier vor ihr lag und sie kopfüber hindurch sprang.
Nach dem steilen Aufstieg über den Schluchtpfad blieb Bardow auf dem ebeneren Terrain des Kammes stehen, um Luft zu schöpfen, und blickte auf die Küstenstadt Adranoth hinab. Es war eine kalte, bewölkte Nacht, und das Meer verlor sich ostwärts in einer weiten, alles umfassenden Finsternis. Entlang der Küste bis zu den hohen Klippen von Thoiranar schimmerten vereinzelt die Lichter von Fischerhütten. Dort oben unterhielten mitfühlende Seelen ein von Seetang gespeistes Leuchtfeuer für die Seeleute. Unten in Adranoth brannten Fackeln und Lampen, vor allem in den Gasthäusern und Schänken, wo hitzige Diskussionen über den Gang der Verhandlungen entbrannten, die noch in der großen Innungshalle der Stadt geführt wurden. Bardow schüttelte den Kopf, als er sich an einige der Bemerkungen, Flüche und Vorurteile erinnerte, welche sie aufgeschnappt hatten, und schlenderte ein Stück über den mit Büschen bewachsenen Kamm. Eine gewisse Gruppe Reisender war früher am Abend dort angekommen und wartete nunmehr beinahe drei Stunden ungeduldig auf ihn.
Jetzt kam ihm eine Patrouille aus vier Männern, zwei Rittern und zwei Jäger Kinder n, entgegen und marschierte an ihm vorbei. Sie verbeugten sich respektvoll, und Bardow erwiderte den Gruß, zwar insgeheim gereizt, aber in sein Schicksal ergeben, mit einem huldvollen Nicken und murmelte einen kleinen Segen, auf den er in der Bibliothek des Burgfrieds in Sejeend kurz vor ihrem überstürzten Aufbruch gestoßen war. Als die Männer ihre Patrouille über den Kamm fortsetzten, seufzte Bardow und wollte gerade weitergehen, als jemand ihn aus den Schatten ansprach.
»Väterliche Huld steht Euch gut, Meister Bardow. Habt Ihr eigentlich jemals eine
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