01 - Tage der Sehnsucht
geschäftige Treiben draußen aus
tiefem Schlaf geweckt zog der Earl of Harrington die Vorhänge zur Seite und sah
durch das Fenster hinab. Die Freiluftpassegiere kletterten gerade auf das Dach
der Postkutsche, während Mr. Sinclair Fiona beim Einsteigen behilflich war. Sie
blieb einen Augenblick auf dem Trittbrett stehen, blickte zum Fenster empor und
lächelte. Er war sich sicher, dass sie ihn nicht sehen konnte, aber beim
Anblick ihrer Schönheit verschlug es ihm den Atem, und er hob die Hand zum
Gruß.
Mr. Sinclair stieg
hinter Fiona ein und schlug die Tür zu. Bald rollte die Kutsche die Auffahrt
hinab, von dem peitschenden Regen in einen dünnen Schleier gehüllt.
Lord Harrington zog
die Vorhänge zu und wandte sich ab. Er würde Fiona und ihren Vater sicherlich
nie wiedersehen. Trotz ihrer gesellschaftlichen Ambitionen und ihrer
guten Adresse war es höchst unwahrscheinlich, dass die gute Gesellschaft daran
interessiert war, diesen Geizkragen und seine Tochter an ihre Tafel zu laden.
Viertes Kapitel
Ein stürmischer Wind fegte durch London und
wirbelte den Staub der Straßen beinahe bis zu den dahinjagenden Wolken empor.
Die jungen Blätter an den Bäumen im Green Park zitterten. Aus dem Gewirr
der Kamine schwebten lange graue Rauch fahnen herab und wehten die
Straßen des Westends entlang, wo sie auf Vorhängen und Kleidern,
Kutschen und Pferden eine feine Rußschicht hinterließen.
Aus dem Küchenkamin
des Hauses in der Clarges Street 67 stieg freilich nur ein dünner Rauchfaden
auf. Denn die Ankunft der Sinclairs hatte weder Wärme und Speisen gebracht,
noch hatte sie zu irgendwelchen Einladungen geführt.
Mr. Sinclair war
schon sieben volle Tage in London und überlegte bereits, ob er nicht weitere
Verluste vermeiden und nach Schottland zurückkehren solle, weg aus diesem
unsympathischen England.
Es war ihm nicht
gelungen, einem Club beizutreten. Er kannte auch niemanden, der ihn empfohlen
hätte.. Tatsächlich schien kein Mensch das geringste Interesse daran zu haben,
ihn kennenzulernen. Ein unangenehmes Gespräch mit Rainbird, dem Butler,
hatte er bereits durchgestanden. Dieser hatte ihn um Lohnerhöhung für das
Personal gebeten, die er ihm hatte abschlagen müssen.
Bei seiner Ankunft
hatte er noch das Gefühl gehabt, dass er seine Pläne würde verwirklichen
können. Das Haus war zweifellos einem Herrn angemessen. Es war ein typisches
Stadthaus jener Zeit, hoch und schmal, mit drei Stockwerken über einem
ausgebauten Keller. jedes Geschoß enthielt zwei Räume, einen nach vorn und
einen nach hinten hinaus. Im Erdgeschoß befand sich der Salon, der aus einem
vorderen und einem hinteren Teil bestand. Im ersten Stock waren das Speisezimmer
und zur Hofseite hin ein Schlafzimmer. Im zweiten Stock lagen zwei weitere
Schlafzimmer. Der Speicher darüber war in fünf Mansardenräume aufgeteilt, die
für die Dienerschaft bestimmt waren.
Naiverweise hatte
er angenommen, die feine Gesellschaft werde von seiner und Fionas Anwesenheit
durch eine Art Osmose erfahren und dann Einladungen an sie ergehen lassen. Er
wußte nicht, dass die Mamas, die ihre Töchter an den Mann bringen wollten,
gewöhnlich einen ganzen. Monat vor Saisonbeginn in London eintrafen, um den
Boden »vorzubereiten«, ähnlich den Parlamentskandidaten, die ihren Wählern vor
einer Wahl besonders um den Bart gingen.
Es war leider auch
allzu offenkundig, dass Rainbird und das übrige Personal für die Sinclairs nur
Verachtung übrig hatten. Denn so ein Essen, wie es von der mageren Tafel der
Sinclairs übrigblieb, hätte wohl kaum eine Katze ernährt, geschweige denn das Personal
eines Stadthauses.
Die Beziehungen
zwischen Mr. Sinclair und Fiona hatten sich ebenfalls nicht verbessert. Er
verfluchte sie im stillen noch immer, weil sie ihn als Geizhals hingestellt
hatte. Da sie ihm in ihrer gelassenen Art mitgeteilt hatte, sie sei durchaus in
der Lage, sich ihre Kleider selbst zu machen, hatte er ihr Geld gegeben, damit
sie sich Stoff kaufen konnte. Während er schwitzte, sich sorgte und unter dem
Tadel der Dienerschaft litt, schien Fiona ganz ins Zuschneiden und Nähen
versunken. Es gibt für sie anscheinend keinerlei Sorgen auf der Welt, dachte er
säuerlich, was in seinen Augen wieder einmal die Vorzüge eines einfältigen
Gemütes bewies.
Bei einem Dinner
mit zähem Hammelbraten explodierte er schließlich. »Ich kann dein dummes Gesicht
nicht mehr ertragen«, schrie er. »Hier sitzen wir also, schlechter dran denn
je, haben kaum
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