01 - Tage der Sehnsucht
Rainbirds
Überraschung nahmen die anderen Diener Miß Fionas Wunsch, ihr zu dem Earl zu
verhelfen, sehr ernst. Sie hörten ihn bis zu Ende an, und dann sagte Joseph für
alle: »Wir müssen unser Möglichstes tun wirklich.«
»War sie mit dem
Abendessen zufrieden?« fragte der Koch.
»Dazu hat sie sich
etwas seltsam geäußert«, erwiderte Rainbird. »Wenn ich sie richtig verstanden
habe, sollen Sie Ihre Künste an uns ausprobieren, Angus. Sie wünscht sich zum
Dinner nur einen Gang, und die Gäste sollen das Allerschlechteste kriegen.
Haltet ihr es für möglich, dass Mr. Sinclair gar kein Geizkragen ist und Miß
Fiona ihn nur als solchen erscheinen lassen will?«
»Aber Mr. Sinclair
hat doch unsere Bitte um mehr Lohn abgeschlagen, und Miß Fiona hat dafür
gesorgt, dass wir Geld haben«, argwöhnte Alice. »Es ist überhaupt nichts
Ungewöhnliches daran, dass Miß Fiona ein bisschen Unterstützung von uns möchte.
Trotzdem verstehe ich nicht, wieso sie bei ihrem Gesicht und ihrer Figur auch
nur ein wenig Hilfe braucht.«
»Aber was können
wir tun?« fragte Rainbird. »Wir sind doch nur Dienstboten. Wir können nicht
einfach eine Gesellschaft geben und ihn zu uns einladen.«
»Vielleicht könnten
wir ihm einen Liebesbrief schicken, der den Eindruck erweckt, er komme von
ihr«, meinte Mrs. Middleton seufzend. »>Mein geliebtes Herz ...< oder so
etwas.«
»Igitt«, sagte Dave
und wurde rot bis über die Ohren.
»Der Überfall auf
Joseph«, meinte Lizzie schüchtern, »hat ein Zusammentreffen von Lord Harrington
und Miß Fiona bewirkt. Könnte nicht auch einer von uns sie so angreifen, dass
Lord Harrington sie retten müsste?«
Rainbird hob die
Hand. »Sie aus einer Gefahr retten«, sagte er nachdenklich, »das könnte
klappen, Lizzie. Lasst mich mal überlegen!«
»Wenn ihr auf das
dumme Gefasel einer Spülmagd hören wollt, gehe ich lieber in den >Eiligen
Lakaien<«, empörte sich Joseph.
»Vergessen Sie
nicht, wer Sie sind, junger Mann!« wies ihn Mrs. Middleton zurecht. »Sprechen
Sie nie wieder in diesem Ton mit Mr. Rainbird!«
»Tut mir leid«,
murmelte Joseph und beobachtete den Butler nervös, doch dieser war tief in
Gedanken versunken.
»Wenn mich niemand
braucht, gehe ich jetzt«, erklärte Joseph.
Aber nur Lizzie
schaute auf. In ihren sanften braunen Augen standen Tränen. »Joseph, ich hoffe,
auch Sie werden einmal in Ihren Gefühlen so verletzt«, sagte sie, »wie Sie. die
meinen verletzt haben.«
Joseph brummte
etwas Unverständliches und verließ, die Türe hinter sich zuschlagend, den Raum.
Er begann fröhlich, ja herausfordernd vor sich hinzupfeifen, während er die
Außentreppe hinaufstieg. Luke, der Lakai aus dem Nachbarhaus, stand draußen und
schnappte ein wenig frische Luft.
»Nichts zu tun?«
fragte Joseph.
»Nein«, erwiderte
Luke. »Sie sind alle mit Lord Brampton zu Almack aufgebrochen und in seiner
Kutsche mit seinen Lakaien gefahren. Dadurch habe ich jetzt ein paar Stunden
frei. Das war aber auch höchste Zeit.«
»Komm mit mir in
den >Eiligen Lakaien<«, sagte Joseph entgegenkommend. In seiner Tasche
klingelte das Geld. Es ist erstaunlich, wie leicht es einem fällt, alle Welt zu
lieben, wenn man genügend Geld hat, dachte er.
»Du zahlst?« fragte
Luke argwöhnisch.
»Alles, was du
willst«, erwiderte Joseph lachend.
»Dann aber los«,
sagte Luke und hakte sich bei Joseph ein.
Die beiden großen Lakaien
schlenderten zusammen die Straße dahin.
Für Joseph wurde es
ein wunderbarer Abend. Der Alkohol hatte seine Zunge gelöst, und so prahlte er
öffentlich mit der finanziellen Großzügigkeit von Londons jüngster Schönheit.
Freilich ging er nicht so weit, auch die seltsame Bitte Miß Fionas, den Earl of
Harrington betreffend, zu erwähnen.
Solcher Klatsch
hätte sich wie ein Lauffeuer verbreitet. Joseph wußte nur zu gut, dass dann der
schlaue Rainbird das Gerücht bis zur ursprünglichen Quelle zurückverfolgt und
ihm mit den Fäusten beigebracht hätte, was einem indiskreten Lakaien gebührte.
Er hörte
verständnisvoll zu, als Luke die Vorzüge der Zofe im Haus Nummer 63 beschrieb.
Ihm selbst blieben viele Liebesqualen erspart, von denen andere Menschen heimgesucht
wurden Nicht dass ihn der Anblick eines wohlgeformten Fußes oder eines
schelmischen Lächelns gleichgültig gelassen hätte! Aber er war etwas zu
ichbezogen und faul, als dass er allzu viel Zeit darauf verschwendet hätte,
sich mit dem anderen Geschlecht abzuquälen. Insgeheim sah er sich auf
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