01 - Tage der Sehnsucht
spurlos verschwunden war. Hatte er, Harrington, das Ganze nur
geträumt? Die Park Lane lag verlassen da. Ein Windhauch bewegte die Blätter der
Platanen. Er blickte unverwandt auf Fiona hinab. Sie lag noch in seinen Armen,
hielt aber die Augen gesenkt, und er fühlte ihren Körper zittern.
»Sie müssen mir
mein Benehmen vergeben, Mylord«, sagte Fiona mit heiserer Stimme. »Meine Nerven
waren überreizt.«
Er schob sie sanft
von sich. »Wir wollen so tun, als ob nichts geschehen wäre«, sagte er. »Aber
berichten Sie mir von dem Überfall. Es wirkte wie ein Stück auf einer Bühne.
Einen Augenblick glaubte ich, ich sähe eine billige Farce.«
»Nein«, erwiderte
Fiona und schauderte überzeugend. »Es war wirklich echt. Der Mann sagte, er
werde mich töten.«
»Am besten ist es,
wenn wir schnell zu den Bascombes zurückkehren und die Diener nach dem Burschen
suchen lassen, wenn ich auch nicht glaube, dass das jetzt noch viel Sinn hat.«
»Ich möchte nicht
zurück«, bat Fiona mit leiser Stimme. »Ich will lieber nach Hause.«
»Und Ihr Vater?«
»Kümmern Sie sich
nicht um meinen Vater«, sagte Fiona mit müder Stimme. »Wenn Sie mich nicht nach
Hause begleiten wollen -«
»Aber natürlich!
Ich fühle mich geehrt. Meine Kutsche ist -«
»Ich würde lieber
zu Fuß gehen.«
»Aber gern«,
erwiderte er und betrachtete sie neugierig. »Ich nehme an, Sie wollen unter
keinen Umständen zu den Bascombes zurückkehren, nicht einmal, damit ich Hut und
Handschuhe holen kann.«
»Nein.«
»Aber Sie haben
weder Schal noch Umhang bei sich.«
»Die Nacht ist sehr
warm.«
Er schob ihren Arm
unter seinen und ging mit ihr die Park Lane entlang. Zuweilen betrachtete er
sie von der Seite. In seinem Kopf arbeitete es fieberhaft. Ein schrecklicher
Verdacht blitzte in ihm auf. Denn es sah beinahe so aus, als hätte sie sich ihm
entgegengeworfen, um ihn daran zu hindern, den Verbrecher gefangenzunehmen.
»Wer hat Ihnen
diesen Fächer geschenkt?« fragte er. Eigentlich hatte er sie gar nicht danach
fragen wollen. Aber es war ihm so über die Lippen gekommen.
»Ich habe ihn
gekauft, Mylord.«
»Ah, dann habe ich
keinen Grund, eifersüchtig zu sein. Ich war überzeugt, Sie hätten ihn von einem
Verehrer.«
»Er war sehr
teuer«, erläuterte Fiona. »Ich glaube nicht, dass ich ein so wertvolles
Geschenk von irgend jemand annehmen würde.«
»Sie haben sicher
schon viele Zeichen der Verehrung bekommen.«
Fiona lächelte,
erwiderte aber nichts.
»Aber Sie müssen an
derlei gewöhnt sein«, fuhr er fort. »Jeder ist doch von Ihrer Schönheit
überwältigt.«
»Seltsam, für schön
gehalten zu werden«, meinte Fiona halb zu sich selbst, »wenn man geglaubt hat,
man sei hässlich. jeden Morgen blicke ich in den Spiegel und erwarte, ein
anderes Gesicht, eine andere Frau zu sehen, aber immer bin ich es. Immer
dieselbe.«
»Wo sind Sie auf
diese verrückte Idee gekommen, dass Sie hässlich seien? Im Waisenhaus?«
»Ja.« Fiona
lächelte. »Aber wir sollten nicht darüber sprechen, sondern bei etwas Banalem
bleiben. Es wurde mir gesagt, dass Sie das bevorzugen.«
»Man hat Sie falsch
unterrichtet.«
»Was suchen Sie
dann bei einer Frau?«
Durch ihre Frage
wurde er lebhaft an den sanften Druck und den Geschmack ihrer Lippen erinnert.
Was konnte sich ein Mann mehr wünschen?
Wie still die Straßen
waren! Nur eine Kutsche, die von einem Paar Brauner gezogen wurde, kam die Park
Lane entlanggerollt. Aus einem der Häuser drang das leise Klimpern eines
Walzers. Die Luft war warm.
Er konnte sie nicht
noch einmal küssen, es Sei denn, er machte ihr zuvor einen Heiratsantrag, und
das konnte er nicht. Sein Name gehörte ihm nicht allein, sondern einer langen
Reihe von Harringtons. Er durfte ihn nicht leichtfertig durch eine zügellose
Leidenschaft für dieses seltsame Mädchen beflecken, das bestimmt viele dunkle
Punkte in seiner Vergangenheit hatte.
»Sie haben meine
Frage nicht beantwortet, Mylord.«
Ihre Stimme mit dem
entzückenden schottischen Tonfall klang leise und neckisch, doch zugleich ein
wenig heiser und brüchig. Er spürte den Druck ihres weichen Armes durch den
Baumwollstoff seines Ärmels. An der Ecke von Piccadilly und Park Lane traten
sie wieder in den Schein einer Straßenlaterne. Er blieb stehen und drehte sie
zu sich, so dass sie ihn ansah. Still blickte er auf sie nieder.
Ihre Lippen waren
jetzt noch voller und ihre Augen sehr groß und dunkel. Er wollte sie noch
einmal küssen, nur, um sich zu beweisen,
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