01 - Tage der Sehnsucht
dass ihn vorhin nicht seine Sinne
getrogen hatten.
Sie kam
vertrauensvoll in seine Arme, als ob sie dorthin gehöre. Sein markantes Gesicht
schwebte über ihr und verdeckte das Licht. Dieses Mal war es schlimmer -
oder auch besser.
Jetzt verstand er,
was die Dichter meinten. jetzt wußte er, was es hieß, sich restlos zu
verlieren. Er küsste sie wie wild und stöhnte vor Leidenschaft. Er küsste sie, dass
sie sich ganz betäubt fühlte und außer Atem geriet. Er küsste sie, bis er glaubte,
er werde an der Unstillbarkeit seines Verlangens zugrunde gehen. »Fiona«, sagte
er rauh, »es darf nicht sein. Ich darf deinen Ruf nicht ruinieren, und er wäre
sicherlich vernichtet, wenn man uns so sähe. Lass mich dich nach Hause
bringen!«
Sie gingen
schweigend weiter. Er fühlte förmlich, wie sie sich von ihm zurückzog und sich
hinter jener Fassade ruhiger Gelassenheit verbarg, die sie gewöhnlich der Welt
gegenüber zeigte.
»Ich - ich
hätte das nicht tun sollen«, stammelte er und fühlte, dass er die Situation
dadurch nur noch verschlimmerte. Obgleich er nie zuvor solch eine glühende
Leidenschaft empfunden hatte, war ihm doch bekannt, dass jede Leidenschaft von
Natur aus dazu neigte, früher oder später zu erlöschen.
»Sie hätten das
nicht sagen dürfen«, erwiderte Fiona streng. »Sie haben keinen Anstand.«
»Entschuldigung«,
sagte er steif. »Ich wurde von den Umständen überwältigt.«
»Es wird immer
schlimmer«, spottete Fiona. »Mylord, gehen Sie doch zu einer der Kurtisanen wie
Harriet Wilson! Kaufen Sie sich bei ihr Liebe ohne Verantwortung! Vielleicht
ist das alles, wozu Sie fähig sind.«
»Gnädiges Fräulein,
ich gebe zu, dass ich mich schlecht benommen habe«, erwiderte er wütend. »Aber
deshalb brauchen Sie mich nicht gleich zu verhöhnen.«
»Vielleicht sollte
man Sie öfter verhöhnen, Mylord. Sie gleichen dann wenigstens einem Mann aus
Fleisch und Blut.«
»Gott, wäre ich
Ihnen doch nie begegnet, Sie Hexe!«
»Sie brauchen mich
nicht widerzusehen«, erklärte Fiona mit aufreizender Gelassenheit. »Gehen Sie
nur und suchen Sie sich eine Dame mit einem langen Stammbaum, einer langen Nase
und einer Seele, die genauso schwunglos wie die Ihre ist!«
»Danke«, rief er.
»Das werde ich.«
»Sie können meinetwegen
sofort gehen«, sagte Fiona. »Oh, welcher Zufall! Mr. Rainbird.«
Der höchst
aufgeregte Butler hatte Joseph mit Dave und dem wütenden MacGregor, der den
Verlust seines besten Messers beklagte, nach Hause geschickt. Er selbst war
unauffällig dem Paar gefolgt, wobei er sich immer im Schatten der Bäume hielt.
Beim Einbiegen in die Piccadilly Street hatte er ihre lauten Stimmen gehört und
war zu der Ansicht gekommen, dass es Zeit sei, sich einzuschalten.
»Ich werde Sie also
verlassen, Miß Sinclair«, sagte Lord Harrington, »und zu den Bascombes
zurückkehren.«
»Aber natürlich«,
meinte Fiona ironisch. »Was gibt es Wichtigeres im Leben, als seinen Hut und
Stock wiederzubekommen? Erzählen Sie meinem Vater, dass ich von der Hitze bewusstlos
geworden bin, wenn es Ihnen nichts ausmacht, Mylord! Sagen Sie ihm aber nicht, dass
ich schon wieder überfallen worden bin. Sein Herz ist sehr schwach.«
»So schwach wie das
seiner Tochter«, fauchte der Earl, was ihm einen wütenden Blick von Rainbird
einbrachte. Der Lord machte auf dem Absatz kehrt und ging.
»Gnädiges
Fräulein«, begann Rainbird, »es tut mir ja so leid. Ich bin zu spät gekommen.
Joseph sagte mir, dass Lord Harring toll ihn beinahe gepackt hätte. Er war halb
wahnsinnig vor Angst und wollte sich nicht beruhigen, bis ihm MacGregor drohte,
ihn in den See im Park zu werfen.«
»Sie haben es
richtig gemacht, Mr. Rainbird«, sagte Fiona traurig. »Ich habe alles verdorben.
Wie ein liederliches Frauenzimmer habe ich mich benommen und Lord Harrington
Abscheu gegen mich eingeflößt.«
»Miß Sinclair«,
entgegnete Rainbird, wobei er sie nicht ansah, »ich habe Sie und Seine
Lordschaft schon vor einer Welle beobachtet und kann nur sagen, Seine
Lordschaft sah bestimmt nicht wie ein Mann aus, der von Abscheu erfüllt ist.«
»Ach, Mr.
Rainbird«, seufzte Fiona. »Nein, gehen Sie nicht hinter mir. Ich muss jetzt
einfach reden. Ich muss mit jemand sprechen, sonst werde ich noch verrückt.
Daher rede ich mit Ihnen, Mr. Rainbird. Aber alles, was ich sage, müssen Sie
vergessen, und Sie dürfen es nie erwähnen.«
»Ja, gnädiges
Fräulein«, erwiderte Rainbird und sah sie neugierig an.
»Ich bin nicht
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