010 - Skandal in Waverly Hall
schlief, und hatte die Kerzen umgestoßen? Später war eindeutig jemand dagewesen und hatte die verkohlte Rose auf das Kopfkissen gelegt.
Anne sank auf ihren Stuhl zurück. Sie war nur noch ein Nervenbündel und zitterte von Angst. In jener Nacht in Ta-valon Castle hatte sie deutlich den Eindruck gehabt, beobachtet zu werden. Hatte jemand in ihrem Zimmer auf der Lauer gelegen? Wenn er sich in Waverly Hall zu ihr hereinge-stohlen und die verkohlte Rose hinterlassen - und vielleicht auch das Feuer gelegt hatte -, war nicht auszuschließen, daß es ihm ebenfalls in Schottland gelungen war. Sie bekam kaum noch Luft.
Was ging hier vor? Und weshalb?
An jenem Tag, als sie in Tavalon allein ausgeritten war, hatte sie jemand beobachtet.
Dessen war Anne jetzt gewiß.
Vielleicht war alles nur ein Zufall. Doch sie glaubte es nicht. Jemand hatte es darauf angelegt, ihr angst zu machen oder sie sogar zu verletzen. Sicher wollte er sie nicht töten, wie Willie befürchtete. Das war absurd.
Sie hatte keine Feinde. Oder doch?
Felicity verabscheute sie, weil sie ihr vor vier Jahren den künftigen Ehemann weggenommen hatte. Die Cousine versuchte nicht einmal, ihre Feindseligkeit zu verbergen. Sie kannte sich mit Pferden aus. Und sie hatte ihr Rache geschworen.
Hatte Felicity versucht, ihr Schaden zuzufügen? Konnte die Cousine Dominick und ihr nach Schottland gefolgt sein?
Nein, dieser Gedanke war lächerlich. Oder nicht?
Anne atmete stoßweise. Sie war allein in den ehelichen Gemächern. Willie war gegangen, nachdem sie ihm versprochen hatte, Dominick nichts von dem Gespräch mit ihm zu erzählen. Belle hatte sie ebenfalls fortgeschickt.
Sie hielt es nicht mehr aus und mußte unbedingt mit Dominick reden. Nur ihm konnte sie sich anvertrauen. Er würde sie beschützen und das Geheimnis lüften.
Es klopfte leise an der Tür. Erleichtert eilte Anne hinüber und war sicher, daß es Dominick war. Sie stieß die schwere Doppeltür auf - und verzog enttäuscht das Gesicht.
Ciarisse stand in einem schwarzen Kleid auf der Schwelle. Zwei Perserkatzen strichen um ihre Knöchel. Sie riß erstaunt die Augen auf, sobald sie Anne sah. „Ist alles in Ordnung, Anne? Meine Güte, Sie sind ja leichenblaß."
Anne wich in ihr Zimmer zurück. Plötzlich fiel ihr ein, daß Ciarisse sie ebenfalls nicht mochte. Außerdem war Domi-nicks Mutter eine ausgezeichnete Reiterin.
Nein, jetzt ging die Phantasie mit ihr durch. Ciarisse war kein krankhaft bösartiger Mensch. Sie konnte Dominick und ihr unmöglich nach Schottland gefolgt sein, das war absurd. Ebenso absurd wie der Gedanke, daß Felicity ihnen nachgereist wäre.
Anne befeuchtete ihre Lippen. Sie würde Bennet später fragen, ob Ciarisse die letzten zehn Tage in Waverly Hall geblieben war. „Sie möchten mit mir sprechen?"
„Ja, in der Tat." Ciarisse betrat den Raum. „Ich bin sehr besorgt, Anne."
Anne konnte sich kaum auf die Worte ihrer Schwiegermutter konzentrieren und riß sich zusammen , um Haltung zu bewahren. Sie mußte unbedingt zu Dominick und über die Vorfälle mit ihm sprechen.
„Ich habe etwas Furchtbares erfahren, während Dominick und Sie auf Reisen waren." Ciarisse sah Anne fest an. „Es ist unerhört. Sosehr ich meinen Sohn liebe, ich fühle mich moralisch verpflichtet, Ihnen die Wahrheit zu erzählen."
Anne straffte sich innerlich. Schlechte Nachrichten über Dominick konnte sie jetzt wirklich nicht gebrauchen. „Ich bin sehr müde von der Heimreise, Ciarisse. Können wir nicht später miteinander reden? Vielleicht nach dem Dinner?"
„Nein, Anne, es muß sofort sein. Sie müssen es wissen, denn es geht um Sie in dieser Sache."
„Ich verstehe nicht, was Sie meinen", sagte Anne unbehaglich.
„Es ist ganz einfach. Rutherford hat einige äußerst seltsame Bestimmungen in das Treuhandabkommmen aufgenommen, das Ihnen die Kontrolle über Waverly Hall gibt. Eine davon besagt, wie die Regelung wieder außer Kraft gesetzt werden kann, so daß Dominick doch noch alle Rechte an dem Landsitz erhält."
Anne gefiel die Wendung des Gesprächs nicht.
„Davon hat mein Sohn Ihnen nichts erzählt, nicht wahr? Sie wissen nicht, was er tun muß, um das ihm zustehende Erbe doch noch zu bekommen?"
Anne wurde immer elender. Die innere Stimme warnte sie, daß Ciarisses nächste Worte furchtbar weh tun würden. Aber sie hörte nicht darauf.
„Und was muß Dominick tun, um Waverly Hall doch noch zu bekommen?"
Ciarisse lächelte boshaft. „Er braucht Sie nur zu
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