010 - Skandal in Waverly Hall
- besonders jetzt!" Sie sah ihn scharf an. „Sie wissen ja gar nicht, was wahre Liebe ist."
Ein schmerzlicher Blick trat in seine Augen. „Du irrst dich gewaltig."
Anne zögerte einen Moment. „Wenn Sie mich lieben würden, hätten Sie mich nicht benutzt ... Und wenn Sie Dominick liebten ..." Sie sprach nicht weiter.
„Ich liebe Dominick wirklich. Ich möchte, daß er glücklich verheiratet ist und zahlreiche Kinder zu seinen Füßen spielen. Eheliche Kinder, Anne. Deine Kinder. Und dich liebe ich auch. Du bist - Sarahs Nichte. Ich habe dich immer geliebt."
Das Bild von jenem kühlen Oktobertag wenige Monate nach ihrer Ankunft in Hunting Way tauchte vor Annes innerem Auge auf. Sie erinnerte sich an den großen aristokratischen Mann, der sie besucht und sie gefragt hatte, ob er etwas für sie tun könne. Sein Blick war freundlich und besorgt gewesen.
„Und ich glaube, daß Dominick dich ebenfalls liebt", fuhr der Herzog fort.
Anne löste sich aus ihrer kurzen Verwirrung. „Er liebt vor allem Waverly Hall."
„Du bist ungerecht, Anne."
Anne hob beide Hände in die Höhe. „Hören Sie auf, Euer Gnaden. Wagen Sie ja nicht, weiterzureden. Sie sind derjenige, der hier ungerecht ist!"
„Da bin ich anderer Meinung." Rutherford ließ sich nicht beirren. „Du bist sehr verärgert, Anne. Und das ist verständlich. Mit der Zeit wirst du dich beruhigen und einsehen, daß meine Absicht so schändlich gar nicht war. Ich habe durchaus das Recht, mir einen Urenkel zu wünschen. Außerdem glaube ich nicht, daß Dominicks Gefühle für dich etwas mit Waverly Hall zu tun haben. Habt ihr beide die Tage in Schottland nicht sehr genossen? Habt ihr euch dort nicht wieder versöhnt? Gewiß habt ihr festgestellt, wie gut ihr zueinander paßt."
Erneut traten Anne Tränen in die Augen. Gleichzeitig bebte sie innerlich vor Zorn.
„Ja, das haben wir. Vielleicht bin ich sogar schon guter Hoffnung. Sind Sie jetzt zufrieden? Do-minick bekommt seinen Erben, die Zukunft des Herzogtums ist gesichert, und er kann Waverly Hall zurückhaben, denn ich will es nicht mehr!" Sie wandte sich ab.
„Du bist eine intelligente Frau, Anne, und du liebst Domi-nick sehr. Ich bin sicher, daß du mit der Zeit die richtigen Schlüsse ziehen wirst. Fühl dich inzwischen bei mir wie zu Hause."
„Ich bleibe nicht hier."
Der Herzog erschrak. „Was hast du vor, Anne?"
Sie straffte die Schultern. „Ich werde im Cavendish Hotel wohnen."
Rutherford riß erstaunt die Augen auf. „Das erlaube ich nicht."
Anne reckte den Kopf in die Höhe.
„Du bist ein sehr großzügiger Mensch, Anne. Ich bin sicher, daß du nicht an Rache denkst. Doch wenn du jetzt in ein Hotel ziehst, machst du deine Schwierigkeiten allgemein bekannt. Es wird einen gewaltigen Skandal geben."
Anne holte tief Luft. Der Herzog hatte recht, Sie hatte sich ihren Entschluß nicht gründlich überlegt. Welche Möglichkeit blieb ihr sonst? Nach Waverly Hall konnte sie nicht zurück - schon aus Prinzip nicht. Auf einen anderen Landsitz von Dominick wollte sie ebenfalls nicht ziehen. Edna würde ihr niemals erlauben, nach Hunting Way zurückzukehren, und Waverly House in London gehörte jetzt Matthew Fairhaven. Sie hatte keine Wahl.
„Also gut, ich bleibe hier."
Rutherford atmete erleichtert auf. „Laß uns später noch einmal miteinander reden, nachdem du etwas Zeit gehabt hast, über alles in Ruhe nachzudenken."
„Es gibt nichts mehr zu besprechen."
Der Herzog sah sie bestürzt an. „Anne - ich liebe dich wirklich sehr."
Anne antwortete nicht. Sie legte die Arme um sich, denn der Schmerz überwältigte sie erneut. Nachdem Rutherford gegangen war, setzte sie sich mit zitternden Knien auf einen Stuhl.
Erst jetzt merkte sie, daß sie nicht allein war. Belle stand in der hinteren Ecke des Salons.
„O Mylady", murmelte die Zofe.
„Es geht mir gut", log Anne.
Belle eilte zu ihr und tat etwas Unvorstellbares. Sie umarmte ihre Herrin. Anne erwiderte die Umarmung. „Danke, Belle", flüsterte sie mit bebender Stimme.
„Wie kann ich Ihnen helfen, Mylady?"
„Ich weiß es nicht. Laß mich erst einmal nachdenken." Mehr zu sich selber fügte sie hinzu: „Ich brauche einen eigenen Anwalt, denn ich möchte keinen Tag länger als nötig die Nutznießerin des Treuhandfonds sein. Ich will Waverly Hall nicht mehr." Sie verzog das Gesicht. „Dorthin kann ich nie wieder zurück."
„Oh, Lady Anne!" rief Belle. „Alle Menschen dort lieben Sie, wenn ich mir die Kühnheit erlauben
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