010 - Skandal in Waverly Hall
schwängern, Anne." Sie zog eine Braue in die Höhe. „Und ich könnte mir vorstellen, daß er es bereits getan hat."
19. KAPITEL
Rutherford House
Kurz nach dem Gespräch mit Ciarisse war Anne auf dem Weg zum Stadtpalais des Herzogs.
Sie hatte Belle, ohne daß die Zofe ein einziges Gepäckstück hätte richten können, mit sich zu der Kutsche gezogen, die auf ihre Anordnung sofort vorgefahren war, und floh nun von Waverly Hall. Noch durchschaute sie die Sache nicht ganz. Aber zwei Dinge waren ihr klar: Dominick hatte sie verführt und entsetzlich getäuscht.
Außerdem schwebte sie in großer Gefahr. Der Instinkt riet ihr, schleunigst zu verschwinden, und sie gab der inneren Stimme unverzüglich nach.
Zum Glück bemerkte Dominick ihre Flucht erst, als sie schon in der Kutsche saß und der Wagen anfuhr. Sie hörte ihn laut ihren Namen rufen.
Anne drehte sich steif um und sah aus dem geöffneten Fenster. Ihre Blicke begegneten sich. Dominick war hinter der Kutsche hergerannt. Jetzt blieb er stehen und rief erneut: „Anne!"
Anne blutete das Herz. Ihr Körper war schwer wie Blei und ihr Verstand wie gelähmt.
Sie bekam keinen Ton heraus. Schweigend sah sie ihren Mann an.
Es gab nichts mehr zu sagen.
Dominick hatte ihr zweimal das Herz gebrochen. Nach dem ersten Mal hatte sie nicht im Traum geglaubt, daß er ihr noch einmal so weh tun könnte. Sie hatte sich bitter getäuscht.
„Anne!" schrie Dominick, die Augen vor Entsetzen weit aufgerissen, hinter ihr her.
Doch die Kutsche hielt nicht an, und er blieb in einer Staubwolke zurück.
Anne hatte sechs Stunden Zeit, um sich wieder zu fassen.
So lange dauerte die Fahrt nach London. Trotzdem erholte sie sich nicht. Daß man sie verletzen, wenn nicht sogar töten wollte, spielte keine Rolle mehr. Körperlich war sie in Sicherheit, denn ihr möglicher Attentäter befand sich irgendwo auf dem Land. Entscheidend war, daß Dominick sie erneut getäuscht hatte.
Der Mann, den sie seit ihrer Jugendzeit liebte - den sie nie aufgehört hatte zu lieben -, hatte ihr skrupellos eine Zuneigung und eine Leidenschaft vorgespielt, die er gar nicht empfand, um sein Erbe zurückzubekommen.
Und was war mit dem Herzog? Anne hatte Rutherford immer als ihren Freund betrachtet. Seine Rolle in dieser Farce war ebenfalls verabscheuungswürdig.
Vor der Residenz des Duke angekommen, wartete Anne darauf, daß die Lakaien den Wagenschlag öffneten und ihr und Belle beim Aussteigen halfen. Sie zitterte am ganzen Körper. Bevor sie sich ein Hotelzimmer nahm - was blieb ihr anderes übrig? - wollte sie einige Worte mit dem Herzog wechseln.
Rutherford House war ein Palast. Das Stadthaus der St. Georges' lag am Beigrave Square. Es erstreckte sich fast über eine ganze Seite des Platzes und war vier Stockwerke hoch, wenn man das Dachgeschoß mitzählte. Das Gebäude aus hellem Sandstein, das während der Regierungszeit Elizabeth I. von Robert Smythson errichtet worden war, galt als eine architektonische Seltenheit, denn es war seitdem nicht verändert worden.
„Wollen Sie mir nicht endlich sagen, was passiert ist, Mylady?" fragte Belle. Tränen liefen ihre Wangen hinab.
Anne drehte sich zu der Zofe. Der Schmerz zerriß ihr beinahe das Herz, und sie bekam kaum einen Ton heraus. „Ich kann nicht darüber sprechen", stieß sie mühsam hervor.
Belle schlug die Hände vors Gesicht.
„Mylady?"
Anne brachte es nicht fertig, dem Lakai, der den Wagenschlag öffnete, freundlich zuzulächeln. Sie bezweifelte, daß sie je wieder lächeln können würde. Schweigend nickte sie dem Mann zu, damit er die Tür öffnete. Zwei Lakaien halfen ihr und Belle aus der Kutsche und geleiteten sie die imponierende Steintreppe zu der schweren schwarzen Vordertür des Gebäudes hinauf.
Das goldene Wappen der Rutherfords zierte die beiden Flügel. Zwei livrierte Bedienstete standen zu beiden Seiten und hielten Wache. Sie schauten teilnahmslos in die Ferne und taten, als wäre sie nicht vorhanden.
Nachdem einer der Lakaien den Türklopfer betätigt hatte, öffnete Rutherfords Butler Caldwell.
„Mylady ..." Er verbeugte sich tief und wich beiseite, damit Anne die elegante Eingangshalle betreten konnte. Der Boden war aus wertvollem weißen Marmor. Die Wände waren weiß-gold verziert, und an der gewölbten vergoldeten Decke befanden sich kunstvolle Fresken mit historischen Motiven. „Seine Gnaden ist zur Zeit außer Haus. Darf ich Ihnen eine Erfrischung in den Salon bringen?" fragte Caldwell.
Anne riß sich
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