010 - Skandal in Waverly Hall
Herzog damit einverstanden ist, aber die reichen kaum aus, um unseren Unterhalt zu sichern. Der Hauptteil von Rutherfords Vermögen ist den Fängen der Häscher preisgegeben. Ich kann nicht verhindern, daß einer von ihnen am Ende alles an sich reißt."
Anne nahm die prächtige Umgebung nicht mehr wahr. Es ging nur noch um Dominick und sie und die furchtbare Tatsache, daß Philip nicht sein leiblicher Vater war. Sie sah ihm in die Augen, und er tat ihr furchtbar leid. Am liebsten hätte sie seine Wange gestreichelt. „Das macht nichts", stieß sie hervor.
„Nein?" Spöttisch zog er eine Braue in die Höhe.
Anne wollte ihm so viel sagen. Dominick sollte wissen, daß sie überall mit ihm hingehen würde, wenn er sie wirklich liebte. Endlich riß sie sich von seinem Anblick los. Sie war nahe daran, ihrem Herzen nachzugeben und ihren Gefühlen freien Lauf zu lassen. Sehr viel länger hielt sie dies nicht mehr aus. Einerseits hatte sie Angst. Sie war verletzt und verzweifelt, und andererseits liebte sie Dominick unendlich. Sie war innerlich hin und her gerissen.
Anne holte tief Luft - und bereute es sofort. Mit einem raschen Blick vergewisserte sie sich, daß ihr Oberteil noch korrekt saß. Als sie den Kopf wieder hob, merkt sie, daß Dominick lächelte. Er lächelte tatsächlich und war sichtbar belustigt. Ihre Wangen röteten sich heftig.
„Wir haben uns zwar getrennt, aber du bist und bleibst eine wunderschöne Frau.
Und deine Naivität ist äußerst liebenswert", erklärte er. Bevor Anne etwas einwenden konnte, senkte er den Kopf und küßte sie auf die empfindsame Stelle unten an ihrem Ohrläppchen.
Anne erschauerte unwillkürlich. Ein köstliches Prickeln durchrieselte ihre Adern und schwächte ihre Glieder.
Dominick reichte ihr den Arm. „Wollen wir uns in die Höhle des Löwen stürzen?"
Sie nickte und legte ihre Hand in seine Armbeuge.
Sie stiegen die drei kurzen Marmorstufen zum Ballsaal hinab, der schon halbgefüllt war. Alle Köpfe wandten sich zum Eingang, und die Gespräche verstummten. Dann begann das
Tuscheln, und vielsagende Blicke wurden ihnen zugeworfen.
Anne blickte sich um und sah, wie ein Gast nach dem anderen Dominick und sie mit großen Augen betrachtete und sich anschließend abwandte. Männer und Frauen, junge und alte. Glühende Röte überzog ihre Wangen.
Verstohlen blickte sie zu Dominick auf. Er verzog keine Miene und hielt sich hoch aufgerichtet. Das Licht der zahlreichen Kronleuchter an der Decke fing sich in den Saphiren seiner Manschettenknöpfe. Er blieb stehen, nahm zwei Champagnerflöten von einem Tablett, das ein Bediensteter vorübertrug, und reichte ihr ein Glas. „Zum Wohl", murmelte er.
Anne trank einen winzigen Schluck, und ihr Blick schweifte weiter. Sie war niemals auf einem richtigen Ball gewesen und hatte noch nie so elegant gekleidete Frauen gesehen. Auch noch nie so viele kostbare Juwelen. Die Männer beachtete sie kaum.
Der Ballsaal war ebenfalls äußerst eindrucksvoll. Kübel mit riesigen Palmen standen in den Ecken. Die Estrade, auf der die Mitglieder des Orchesters saßen, war ebenfalls mit Palmen und Farnwedeln geschmückt. Die Wände des Saals waren mit Goldbrokat bespannt oder mit Landschaftsbildern bemalt. Wohl hundert rotgepolsterte Stühle reihten sich an der Längswand.
Annes Blick glitt weiter zu den Gästen. Alle schienen sich hier zu kennen. Grußworte schollen hin und her, Gelächter erklang. Die Stimmung war gut, alle unterhielten sich prächtig. Doch niemand kam auf Dominick und sie zu. Dabei beobachteten die Gäste sie und schauten immer wieder zu ihnen hinüber.
Anne sah verstohlen zu Dominick auf. Er betrachtete die Menge ebenfalls und verzog keine Miene. Zwei rote Flecken hatten sich auf seinen Wangen gebildet. Er war genauso gedemütigt wie sie. Ihr brach beinahe das Herz.
„Die Leute sind abscheulich. Solch ein Verhalten ist unverzeihlich!" erklärte Anne erbost.
„So, ist es das?"
„Ja, natürlich."
„Mir hast du ebenfalls einmal vorgeworfen, mein Verhalten wäre unverzeihlich."
Dominick betrachtete sie prüfend.
Anne faßte ihr Champagnerglas fester. „Ja, das stimmt."
„Wenn du mir meine Fehler nicht verzeihen kannst, weshalb erwartest du dann, daß die anderen mir das mindestens ebenso abscheuliche Vergehen der Hochstapelei nachsehen?"
Anne strich mit der Zunge über ihre Lippen und suchte verzweifelt nach einer Antwort. „Für das, was du mir angetan hast, bist du selber verantwortlich, Dominick.
Aber du
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