010 - Skandal in Waverly Hall
anzunehmen und nicht das Schlechteste. „Bisher ist Dominick noch nicht verurteilt. Solange das nicht geschehen ist, bin ich als seine Frau verpflichtet, ihm zu helfen."
„Meine Güte, soviel Edelmut kann doch nicht wahr sein", stieß Patrick verächtlich aus.
Bevor sie antworten konnte, eilte ein Bediensteter mit Caldwell an der Seite herein.
Er war mindestens einsneunzig groß, wog gut zwei Zentner und trug eine gewaltige Axt in der Hand.
„Schlag den Schreibtisch entzwei", forderte Anne ihn auf.
Der Bedienstete verzog keine Miene. Er hob die Axt in die Höhe, ließ sie hinabsausen und spaltete den Schreibtisch in zwei Hälften. Gerade wollte er die Axt erneut schwingen, da rief Anne: „Halt!" Sie hatte einen großen Umschlag im Mittelteil entdeckt. Offensichtlich gab es doch ein Geheimfach.
Mit zitternden Händen zog Anne einen Papierstapel hervor. Das erste und das letzte Blatt waren mit einem Siegel versehen.
„Was ist das?" fragte Patrick mißtrauisch.
„Ich weiß es nicht. Es sind offizielle Dokumente. Ich kann sie nicht einfach überfliegen." Sie ging zu Rutherfords Stuhl, setzte sich und begann zu lesen.
Als sie geendet hatte, was sie gleichzeitig froh und traurig. Sie hob den Kopf und betrachtete die Gesichter der Menschen, die sie umringten und zu ihr hinabblickten.
„Nun?" fragte Patrick.
„Dies ist der Beweis, daß Dominick nicht Patricks Sohn ist. Fairhaven hatte also recht", sagte Anne ruhig.
Patrick verzog lächelnd die Lippen.
„Aber Philip hat Dominick an seinem ersten Geburtstag adoptiert", fuhr sie fort.
„Außerdem hat er ihn zu seinem einzigen gesetzlichen Erben bestimmt."
28. KAPITEL
Anne beendete gerade ihre Morgentoilette, als auf der Straße unter ihrem geöffneten Fenster eine ziemliche Unruhe entstand. Sie hörte, daß eine Kutsche vorfuhr. Der Wagenlenker rief den Pferden etwas zu, und die Tiere schnaubten ungeduldig. Zwei weitere männliche Stimmen waren zu hören.
Das war doch nicht möglich. Einer der beiden Männer klang wie Dominick.
Anne eilte an ihr Schlafzimmerfenster und beugte sich weit hinaus. Sie erkannte die schwarz-goldene Kutsche der Hardings sofort. Blake und Dominick standen daneben, schüttelten sich die Hände und wechselten einige Worte.
Anne war unendlich erleichtert. Sie drehte sich um, hob ihre Röcke an, lief aus dem Raum und eilte die Treppe hinab. Sie erreichte die Eingangshalle in dem Augenblick, als Dominick das Haus betrat.
Caldwell strahlte ihn an, und seine Augen wurden feucht. „Mylord, Sir! Welch ein Glück, daß Sie wieder daheim sind!" Einen Moment hatte Anne den Eindruck, der alte Butler wollte Dominick umarmen.
Dominick nickte. „Danke, Caldwell."
Anne klammerte sich an den Endpfosten des Geländers. Ihr Puls raste wie wild.
„Mylord!" rief Verig, der ebenfalls in die Halle gelaufen kam. „Lassen Sie mich Ihnen helfen, Sir." Der Diener nahm Dominick die Frackjacke ab. „Wo sind Ihr Hut und Ihre Handschuhe?"
„Ich habe sie verloren", antwortete Dominick tonlos.
Verig ging nicht auf seine Bemerkung ein. „Soll ich Ihnen ein heißes Bad einlaufen lassen und das Frühstück nach oben bringen?"
Dominick nickte erneut und begegnete Annes Blick.
Anne betrachtete ihn näher. Dominick hatte seine schwarze Frackjacke über dem linken Arm getragen. Sein Hemd stand fast bis zur Brust offen und war restlos zerdrückt. Seine Hose war ebenfalls zerknittert. Sein Haar war zerzaust, und eine Strähne fiel über seine Stirn. Sein Gesicht war sehr schmal geworden, und eine gewaltige purpurrote Schramme lief über seine linke Wange. Es war entsetzlich.
„Dominick ..." sagte Anne heiser.
„Guten Morgen, Anne", antwortete er, trat aber nicht näher.
„Wie bist du freigekommen?"
„Blake meldete sich bei der Polizei und schwor, daß wir den Nachmittag gemeinsam verbracht hätten." Er sah sie fest an. „In einem Bordell."
Anne wurde blaß. Sie hielt seinem Blick stand und merkte, wie erschöpft er war.
„Dem Himmel sei Dank."
„Ja, Blake ist ein verdammt guter Lügner." Sie sahen sich weiter in die Augen.
Anne war unendlich erleichtert. „Hat man die Anklage gegen dich fallengelassen?"
„Nur für den Moment und unter gewissen Auflagen. Bis die Ermittlungen abgeschlossen sind, darf ich London nicht verlassen."
Anne begriff.
Dominick seufzte leise. „Ich bin müde, Anne. Ich gehe jetzt nach oben und möchte mich waschen und etwas ausruhen."
Sie trat nicht beiseite, um ihn vorbeizulassen. „Was ist mit deiner
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