010 - Skandal in Waverly Hall
„Wie konntest du mir so etwas antun?" stieß sie hervor. „Weshalb hast du mich am Morgen nach unserer Hochzeit verlassen? Weshalb?"
„Es tut mir leid", flüsterte Dominick.
„Ich habe so darauf gewartet, daß du zurückkamst", rief sie. Tränen rannen ihre Wangen hinab, und sie wischte sie ärgerlich fort. „Ich wartete und wartete - Jahr für Jahr. Verdammt, Dominick!"
„Es tut mir leid, Anne. Es tut mir mehr leid, als du ermessen kannst."
„Dafür ist es zu spät", schrie sie.
Dominick wandte sich ab. Er ging zum Fenster und blickte hinaus in die Ferne. „Ja", stimmte er ihr endlich zu. „Dafür ist es leider zu spät."
4. KAPITEL
Anne starrte auf Dominicks Rücken. Die Himmel hinter ihm wurde immer dunkler.
Die ersten Sterne begannen zu funkeln, und feine Nebelschwaden zogen über den Rasen. Bald würde das Haus davon eingehüllt und für neugierige Blicke von außen unsichtbar sein.
Eine unendliche Trauer erfaßte ihre Seele. „Es wäre am besten, wenn du morgen wieder gehst", sagte sie endlich. „Nachdem das Testament deines Vaters eröffnet worden ist."
Ihre Worte hatten ihn nicht verletzen sollen, aber sie schmerzten Dominick trotzdem. Er rührte sich nicht und schwieg weiter.
„Wirst du morgen abreisen?" fragte Anne schließlich.
Dominick drehte sich um, richtete sich auf und sah sie mit gequälter Miene an. „Was würdest du tun, wenn ich es mir anders überlegt hätte, Anne?"
Sie riß erschrocken die Augen auf. „Was soll das heißen?"
„Vielleicht möchte ich gar nicht mehr fort."
Sie wußte nicht, was sie sagen sollte. Plötzlich bekam sie furchtbare Angst. Dominick und sie unter einem Dach - das würde niemals gutgehen. Sie konnten unmöglich tun, als lebten sie wie Mann und Frau zusammen und führten eine normale Ehe.
Dominick war ein äußerst begehrter Mann und ständig von den schönsten Frauen umgeben. Selbst wenn sie es schaffte, mit ihm im selben Haus zu wohnen, würde es sie umbringen, ihn täglich zu sehen und von seinen Affären zu wissen.
Endlich fand sie ihre Stimme wieder. „Ich möchte, daß du gehst. Du kannst nicht hierbleiben."
Er sah sie hart an. „Ja, das hast du mir deutlich zu verstehen gegeben. Aber vielleicht haben sich meine Wünsche geändert."
„Deine Wünsche interessieren mich nicht!" rief Anne und merkte, wie hysterisch ihre Stimme klang. Sie mußte sich unbedingt stärker beherrschen. „Es wäre für uns beide besser, wenn du sofort gehen würdest."
Er lächelte so wissend, daß es ihr eiskalt über den Rücken lief. „Wovor hast du solche Angst, Anne?"
„Ich habe keine Angst vor dir, falls du das andeuten willst."
Dominick verschränkte die Arme vor der Brust und sah sie nachdenklich an. „Ich werde bleiben. Zumindest für eine Weile."
„Weil deine Mutter es wünscht?"
„Nein." Er betrachtete sie aufmerksam. „Offensichtlich gibt es hier eine Menge zu tun. Wir brauchen einen neuen Gutsverwalter. Außerdem muß ich meine Autorität gegenüber Bennet und dem Personal wiederherstellen." Er schien belustigt zu sein.
„Das kommt nicht in Frage", erklärte Anne mit bebender Stimme. „Du bist hier nicht willkommen."
„Muß ich dich daran erinnern, daß das Haus mir gehört? Du kannst mich nicht einfach hinauswerfen, Anne. Übrigens gehörst du mir ebenfalls." Er lächelte verführerisch. „Nach Recht und Gesetz, ob du dich als meine Ehefrau fühlst oder nicht."
„Nein", stieß sie hervor, und ihr Herz trommelte wie wild. „Nein!"
„Nein?" wiederholte er spöttisch. „Ist das kein Ehering an deinem Finger?"
„Das bestreite ich nicht. Ich weiß selber, daß ich rechtlich noch deine Frau bin, obwohl wir uns in den vier Jahren nach unserer Hochzeit kein einziges Mal gesehen haben."
Dominick kniff die Lider zusammen. „Falls du die Absicht hast, mir Schuldgefühle einzuflößen, ist es dir gelungen."
„Nein, das wollte ich nicht."
„Was willst du dann, Anne?"
Sie holte tief Luft. „Waverly Hall gehört dir gar nicht, Dominick."
Er ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. „Wie bitte?"
Anne schluckte trocken. Dominick hatte die Neuigkeit nicht von ihr erfahren sollen, zumindest nicht auf diese Weise. „Das Haus gehört mir."
Er zuckte nicht einmal mit der Wimper. „Was sagst du da?"
Anne richtete sich hoch auf. „Es ist die Wahrheit."
„Soll das heißen, daß ich enterbt worden bin?" Dominick konnte es nicht fassen.
Anne rang die Hände. „Nein, es geht nur um das Haus. Es wurde mir treuhänderisch
Weitere Kostenlose Bücher