010 - Skandal in Waverly Hall
in Ordnung, Großvater?"
„Nein", antwortete der Herzog und sank auf seinen Stuhl zurück. Er barg das Gesicht zwischen seinen knorrigen Händen, und Dominick überlegte, ob Rutherford wieder weinte.
Die St. Georges' waren keine gefühlvolle Familie. Trotzdem hätte Dominick seinen Großvater gern getröstet, der plötzlich nicht wie ein Herzog wirkte, sondern wie ein gramgebeugter, alter, zerbrechlicher Mann. Er zögerte einen Moment. Dann ging er zu dem Sessel hinüber und hockte sich daneben. Allerdings wagte er nicht, seinen Großvater zu berühren. „Es tut mir sehr leid", flüsterte er.
Rutherford winkte ihn beiseite, ohne den Kopf zu heben. Der Rubin in seinem Ring funkelte im Kerzenschein. „Es geht mir gut."
Stolz spielte in der Familie ebenfalls eine große Rolle. Dominick stand auf, ging zum Schrank und schenkte zwei frische Gläser für sie beide ein. Er wollte dem Großvater Zeit geben, sich wieder zu fassen. Als er sich umdrehte, saß der Herzog aufrecht da.
Seinen geröteten Augen war nicht anzusehen, ob er erneut geweint hatte.
Dominick ging zu ihm und reichte ihm einen Schwenker. „Ich kann es einfach nicht glauben, daß mein Vater tot ist."
„Manchmal tritt der Tod unerwartet ein", antwortete Rutherford heiser. „Weshalb bist du nicht früher gekommen?"
„Ich war in Paris, als mich die Nachricht erreichte, und bin sofort losgefahren."
„Ich wünschte, du wärst unter anderen Umständen nach Hause zurückgekehrt, Dominick."
„Das wünschte ich auch."
„Du warst viel zu lange fort, mein Sohn", stellte Rutherford fest.
Ein Muskel zuckte in Dominicks Wange. „Ich war sehr beschäftigt. Immerhin verwalte ich vier Landgüter. Im Gegensatz zu anderen Männern überlasse ich die Verantwortung dafür nicht den Guts Verwaltern und den Anwälten."
Rutherford schnaufte verächtlich. „Trotzdem hättest du von Zeit zu Zeit heimkommen können. Wie andere Männer. Es gibt keine Entschuldigung dafür, daß du dich all die Jahre nicht bei deinen Eltern und in Waverly Hall hast blicken lassen." Er kniff die Augen ein wenig zusammen. „Und bei Anne."
Dominick richtete sich hoch auf. „Misch dich nicht in meine Ehe ein", warnte er den Großvater. „Allerdings scheinst du es bereits getan zu haben, falls Anne weiß, wovon sie redet."
Rutherford stand langsam auf. „Welche Ehe? Du hast doch gar keine Ehe geführt.
Aber jetzt werde ich mich einmischen, weil es an der Zeit ist und ich täglich älter werde. Die Art und Weise, wie du Anne behandelst, müßte bestraft werden."
Dominick bemühte sich, sein Temperament im Zaum zu halten. „Sie wurde Viscountess, als ich sie heiratete, und ist jetzt eine Marchioness. Eines Tages wird sie sogar Herzogin sein, Großvater. Ich glaube kaum, daß sie unter der Heirat mit mir gelitten hat."
„O doch, sie hat darunter gelitten", fuhr Rutherford seinen Enkel an, und sein Gesicht wurde dunkelrot. „Sie liebte dich unendlich, als sie dich heiratete. Das wußtest du genau. Sie liebte dich seit ihrer Kindheit, und du warst nichts anderes als ein viel zu gutaussehender, unreifer junger Mann mit schlechten Manieren.
Weshalb, zum Teufel, bist du so lange fortgeblieben?"
„Du weißt, daß ich in den Krieg gezogen bin", antwortete Dominick scharf.
„Unsinn. Du wartetest sechs Monate, bis du dich zur Armee meldetest, und bist seit beinahe einem Jahr wieder zurück. Die Wahrheit ist, daß du niemals nach Hause zurückgekehrt wärst, wenn du nicht von Philips Krankheit erfahren hättest. Habe ich recht?"
Dominick war außer sich vor Zorn. Trotzdem zwang er sich zur Ruhe. „Ja, das stimmt", antwortete er.
Rutherford sah ihn eine Weile schweigend an. „Manchmal habe ich den Eindruck, daß ich dich voll und ganz verstehe, Dominick", sagte er ruhig. „Und dann stelle ich plötzlich fest, daß ich dich kein bißchen kenne."
Dominick verzog das Gesicht. „Manchmal verstehe ich mich selber nicht."
„Du warst nicht sonderlich begeistert darüber, daß du heiraten solltest. Aber du sahst ein, daß es an der Zeit war. Du wähltest Felicity, und ich hatte nichts dagegen. Anschließend kompromittiertest du Anne und heiratetest sie, weil dir nichts anderes übrigblieb. Du hast eine sehr nette Frau bekommen, Dominick. Weshalb bist du davongelaufen?"
„Ich hatte meine Gründe."
„Nenn mir einen einzigen."
Dominick zögerte unmerklich. „Vielleicht konnte ich mich selber nicht leiden für das, was ich getan hatte."
Der Herzog ließ ihn nicht aus den
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