010 - Skandal in Waverly Hall
Verzweiflung.
„Ich bin keine von deinen Huren, die ihrer Natur freien Lauf läßt."
„Wohl kaum", stimmte er ihr zu, und seine Augen wurden dunkel. „Du verhältst dich eher wie eine verängstigte unwissende Jungfrau."
Ihre Blicke begegneten sich. Dominicks Worte waren als Kränkung gemeint, und Anne empfand sie auch so. Sie straffte ihre Schultern und sah ihn so eisig an, wie sie irgend konnte. „Du solltest jetzt gehen."
Dominick richtete sich auf und ließ seine Hände sinken. „In Ordnung. In der Armee habe ich gelernt, wann es besser ist, den Rückzug anzutreten." Er lächelte nicht, sondern sah sie kühl an. Seine Stimme klang nicht gerade freundlich. „Ich dränge mich nicht auf, wenn ich unerwünscht bin."
„Dann ist es ja gut", fuhr Anne ihn an. Sie war wütend auf ihn, aber auch auf sich, weil ihr die plötzliche Wende des Gesprächs nicht gefiel.
„Nur ein Narr würde auf eine Einladung warten, die niemals kommt", erklärte er über die Schulter und eilte in Richtung Tür.
„Oder ein Gentleman", rief Anne ihm nach. „Der du selbstverständlich nicht bist."
Auf der Schwelle drehte Dominick sich noch einmal um. „Du willst unbedingt mit mir kämpfen, nicht wahr?"
„Ja, ich will mit dir kämpfen", rief sie. „Und jetzt raus!"
„Ich gehe. Aber nicht, ohne dir vorher eine Frage gestellt zu haben. Ist Patrick jemals dein Liebhaber gewesen?"
Anne mußte unbedingt etwas nach ihm werfen. Leider stand nur eine gefüllte Blumenvase in ihrer Reichweite, und sie rang innerlich mit der Versuchung, sie nach ihm zu schleudern. „Nein."
Seine Miene veränderte sich. „Du bist doch nicht etwa noch Jungfrau, oder?"
Anne holte tief Luft. Die Blumen waren zu verlockend. Sie schloß die Augen, um dem Zwang zu widerstehen - und verlor den Kampf. Mit aller Kraft schleuderte sie die blauweiß gemusterte Vase aus Delfter Porzellan in Richtung Dominicks Kopf.
Er duckte sich, und das Gefäß zerschellte an der Wand.
8. KAPITEL
Anne konnte es nicht glauben, daß sie den Kopf verloren und tatsächlich eine Vase nach Dominick geworfen hatte. Seine Augen waren ebenfalls vor Erstaunen geweitet. Gemeinsam betrachteten sie das zerbrochene Porzellan und die geknickten Blüten, die zwischen den blauweißen Scherben lagen.
Dominick verzog die Lippen und sah Anne eindringlich an. „Ich habe dir nur eine Frage gestellt, Anne. Wenn du sie nicht beantworten möchtest, hättest du es bloß zu sagen brauchen."
Sie sah ihn fest an. „Ja, Dominick. Ich bin noch Jungfrau."
Er erstarrte unwillkürlich.
Anne reckte den Kopf in die Höhe und flehte innerlich, daß sie jetzt nicht errötete.
„Du siehst, während du mich ständig betrogen hast, bin ich dir immer treu geblieben."
Dominick wurde blaß. „Meine Güte, wie das klingt ..."
Endlich gab Anne dem unwiderstehlichen Bedürfnis nach und verschränkte die Arme vor der Brust. „Es klang genau, wie es gemeint war." Die nächsten Worte sprudelten nur so aus ihr heraus, ohne daß sie es verhindern konnte. „Vielleicht solltest du nach London zurückkehren, zu Margaux Marchalle."
Dominick kniff die Augen ein wenig zusammen und verschränkte ebenfalls die Arme vor der Brust. „Margaux Marchalle."
„Die berühmte französische Schauspielerin."
„Ich weiß, wer sie ist."
„Das will ich hoffen."
„Die Frage ist nur, woher, zum Teufel, du von ihr weißt?"
„Wie sollte ich nicht von ihr wissen, wenn ihr beide seit zwei Monaten überall zusammen gesehen werdet?"
„Du wohnst doch gar nicht in London!" Seine Augen blitzten. „Sag mir, woher du so gut informiert bist, Anne. Hast du einige Leute beauftragt, mir nachzuspionieren, damit du immer über meine Affären auf dem laufenden bist? Ist mein Privatleben für dich zu einer Art Steckenpferd geworden?"
„Nein, ich brauche niemanden zu beauftragen. Nicht, wenn du mit einer berüchtigten Schauspielerin herumtändelst."
„Verstehe. Du bist eine Frau, die Spaß an Klatsch und Tratsch hat - die jeden Klatsch für bare Münze nimmt."
„Das ist ungerecht!"
„Vielleicht bist du selber ungerecht."
Sie sahen sich eindringlich an.
„Leugnest du etwa, daß du eine Affäre mit dieser Frau hast?"
„Zunächst hat mich dein Interesse an meinem Privatleben amüsiert. Inzwischen finde ich es ausgesprochen lästig", schimpfte Dominick.
„Dann solltest du deine Affären lieber geheimhalten", meinte Anne etwas zu freundlich.
„Deine Eifersucht ist unübersehbar, Anne."
„Ich bin wohl kaum eifersüchtig
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