010 - Skandal in Waverly Hall
heiratete, der mich anschließend herumkommandieren darf." Sie schlenderte zur Tür und drehte sich noch einmal um. „Sei mir nicht böse, Mama."
Sie lächelte reizend. „Ich werde diskret sein. Außerdem habe ich noch ein Hühnchen mit Anne zu rupfen, erinnerst du dich?" Damit verließ sie das Zimmer.
Edna antwortete nicht.
Patrick hob seine Gabel wieder auf und aß weiter.
Anne beendete gerade ihre Mahlzeit, als Dominick das Frühstückszimmer betrat. Es war kurz nach acht.
„Du bist also eine Frühaufsteherin", stellte er fest und ging zu ihr. „Guten Morgen, Anne", sagte er warmherzig.
„Guten Morgen, Dominick. Ja, das stimmt. Ich habe immer viel zu tun." Ohne ihn anzusehen, stand sie auf. „Wo ist Blake?"
„Keine Ahnung. Wahrscheinlich liegt er noch im Bett." Er faßte ihren Arm. „Wo willst du hin?"
„Charles Dodd hat versprochen, um Viertel nach acht hier zu sein. Eine Zuchtstute kann jeden Moment fohlen", antwortete sie.
„Du bist zum Reiten gekleidet", bemerkte Dominick.
Anne straffte sich unwillkürlich. „Ich treffe mich um zehn Uhr mit Patrick."
Dominicks Lächeln erstarb, und seine Augen blitzten. „Das kommt nicht in Frage."
„Wir haben uns gestern während des Abendessens verabredet", sagte sie gelassen und ging nicht auf seinen Tonfall ein.
„Das kann schon sein. Aber du wirst die Verabredung wieder absagen", erwiderte Dominick.
Anne sah ihn fassungslos an. „Weshalb bist du solch ein Narr?"
„Weil es mir nicht gefällt, daß meine Frau der Gegenstand lüsternen Klatsches und häßlicher Spekulationen wird", fuhr er sie an.
Anne atmete tief durch. Dominick übertrieb gewaltig. Niemand würde über sie und ihren Vetter klatschen. „Darüber hättest du dir lieber von vier Jahren Gedanken machen sollen. Damals stand ich tatsächlich im Mittelpunkt des Klatsches - und zwar in Verbindung mit dir!"
„Du bist sehr klug, Anne. Ja, ich hätte vor vier Jahren daran denken sollen", sagte Dominick barsch. „Aber damals war es mir restlos egal. Und ich war kein bißchen eifersüchtig."
Anne öffnete den Mund und schloß ihn wieder.
„Hör mir gut zu", fuhr Dominick fort. „Wenn Patrick kommt und du ihm nicht auf der Stelle sagst, daß du eure Verabredung nicht einhalten kannst, werde ich es tun."
Anne begann zu zittern. „Zwischen Patrick und mir ist nichts als Freundschaft.
Niemand klatscht über uns."
„Du irrst dich - in beiden Punkten, ob du es wahrhaben willst oder nicht." Er kehrte ihr den Rücken zu und ging zur Anrichte, auf der das Frühstück bereitstand.
Anne gefiel es nicht, auf diese Weise verabschiedet zu werden. Und ihr gefiel erst recht nicht, daß Dominick ihr vorschreiben wollte, was sie zu tun und zu lassen hatte. Deshalb ging sie ihm nach und tippte ihm auf die Schulter. Er drehte sich sofort um.
„Vielleicht solltest du es einmal mit dem alten Sprichwort versuchen, nach dem man Mäuse mit Speck fängt und nicht mit Essig?"
Er betrachtete sie kühl. „Ich habe kein Interesse daran, Mäuse zu fangen, Anne."
„Nein, du hast mir dein Interesse eindeutig klargemacht. Wie hätte ich etwas anderes von einem Mann mit deinem Ruf erwarten sollen?" antwortete sie. Erbost wandte sie sich ab und schritt erhobenen Hauptes aus dem Raum.
Anne stieg die breiten Stufen vor dem Haus hinab, der Rock ihres schwarzen Reitkostüms schwang um ihre Knöchel, während sie zu den Stallungen ging. Es war ein wunderschöner Sommermorgen, aber sie war zu verärgert, um es wahrzunehmen. Charles Dodd war schon gekommen und untersuchte gerade die hochtragende Stute. Anne verdrängte ihre Gedanken an Dominick sofort. Sie betrat die Box und sprach beruhigend auf das kastanienbraune Tier ein.
Eine halbe Stunde später verließ sie den Stall wieder. Dodd hatte ihr versichert, daß mit der Stute alles in Ordnung wäre. Draußen strahlte die Sonne. Es war ein herrlicher Hochsommertag. Sie seufzte leise und entspannte sich allmählich. Der Ritt, den sie jetzt allein unternehmen mußte, würde ihr guttun - solange sie nicht an Dominick und seinen abscheulichen Vorschlag dachte.
Während sie ins Freie trat, schweifte ihr Blick zu den Gärten, die Waverly Hall umgaben. Sie hielt inne und dachte unwillkürlich an die verbrannte Rose. Ihr Magen zog sich schmerzhaft zusammen. Sie wollte nicht an die verkohlte Blume erinnert werden, denn sie hatte keine Ahnung, was sie bedeutete.
Das Ganze war ziemlich seltsam. Schon die Vorstellung, daß jemand sich die Mühe gemacht hatte, solch
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