010 - Skandal in Waverly Hall
einem Schrei eilte sie zu ihrem Bett, riß die hellblaue Decke herunter und schleuderte das Dutzend blauweiße Kissen heftig beiseite. Doch es reichte nicht, um ihre Wut zu stillen. Keuchend packte sie die dunkelblauen Vorhänge des Baldachins und zerrte daran, bis sie mit einem zischenden Laut zerrissen. Wie von Sinnen warf sie die Brokatfetzen zu Boden und trampelte mit beiden Füßen darauf.
Inständig wünschte sie, es wäre Anne, die sie auf diese brutale Art mißhandelte.
14. KAPITEL
In Dulton stiegen sie in den Zug.
Philip war ebenso wie sein Vater lieber mit der Kutsche gereist. Deshalb gab es keinen eigenen Salonwagen für die Bewohner von Waverly Hall. Dominick hatte einen ganzen Erste-Klasse-Wagen für sie beide reservieren lassen. Anne ging über den dicken Teppichläufer und setzte sich auf eine weich gepolsterte Bank. Sie würdigte Dominick keines Blickes.
Trotzdem war sie sich seiner Gegenwart stark bewußt. Dominick war unmittelbar hinter ihr eingestiegen und stand mit seinem Diener Verig am Fenster, zu dessen beiden Seiten rote Damastvorhänge hingen. Die beiden Männer unterhielten sich leise. Dann nickte Verig und verließ den Wagen. Dominick schloß die Tür hinter ihm und sah zu Anne hinüber.
Anne straffte sich, um ihre Nervosität zu überspielen. Seit ihrer Abfahrt von Waverly Hall am frühen Morgen hatte sie nur das Allernötigste gesprochen. Gestern abend hatte sie Dominicks Vorschlag zugestimmt, für eine Woche mit ihm zu verreisen.
Aber da hatte sie unter einem schweren Schock gestanden - oder absolut den Verstand verloren gehabt.
Nichts hatte sich geändert. Dominicks kurzer Moment voller Fürsorge und Freundlichkeit konnte ihr Mißtrauen nicht auslöschen, das sich auf vier Jahre Einsamkeit gründete. Wenn sie sich einbildete, daß seine gestrige Besorgnis der Beweis für ein echtes Interesse an ihr gewesen war, setzte sie sich nur noch mehr Kummer aus - einem Herzenskummer, den sie nicht ertragen würde.
„Verig und Belle reisen im Wagen hinter uns", sagte Dominick ruhig. Er ging zu Anne und blieb vor ihr stehen. „Falls wir etwas benötigen, brauchen wir nur zu rufen."
Endlich sah sie zu ihm auf. Wenn der Mann doch nicht so überwältigend männlich wäre, dachte sie und nickte stumm.
Dominick verschränkte die Arme vor der Brust. Seine to-pasfarbenen Augen blitzten verärgert. „Also gut, Anne. Du hast mir deutlich zu verstehen gegeben, daß dir diese Reise zutiefst mißfällt. Würdest du mir bitte sagen, weshalb?"
Anne schob trotzig das Kinn vor. „Ich kann es nicht leiden, wenn man mich zu etwas zwingt."
„Wie kommst du darauf?" fragte er verblüfft. „Gestern abend hast du der Fahrt zugestimmt. Du schienst von meinem Vorschlag durchaus angetan zu sein. Ich hatte das Gefühl, dies könnte ein neuer Anfang für uns werden."
Sie holte tief Luft und hätte sich am liebsten wie ein Kind beide Ohren zugehalten.
„Gestern abend stand ich unter einem Schock und konnte wahrscheinlich nicht mehr klar denken."
„Verstehe. Und heute bist zu wieder zu Verstand gekommen", stellte er spöttisch fest.
„Ja, vermutlich."
Dominick lachte freudlos. „Dann nehmen wir unsere alte Feindseligkeit also wieder auf, obwohl der Zug jeden Moment abfahren kann?"
„Ich habe nicht die Absicht, dir gegenüber feindselig zu sein."
„Gib es ruhig zu. Du kannst es kaum erwarten, dich erneut mit mir zu streiten."
„Im Gegenteil." Anne stand auf und sah ihm in die Augen. Es war nicht ganz einfach, denn sie war erheblich kleiner als Dominick. „Ich werde alles tun, was du in der nächsten Woche von mir verlangst." Sie errötete ein wenig. „Alles und jedes."
Verschwommene Bilder tauchten vor ihrem inneren Auge auf. Dominick und sie lagen engumschlungen auf einem Laken. Er preßte die Lippen auf ihren Mund, und seine Hände schienen überall gleichzeitig zu sein ...
Dominick verzog das Gesicht. „Verstehe."
„Wir haben uns auf eine Woche geeinigt. Eine einzige Woche." Anne spürte, daß sie dunkelrot geworden war. „Eine Woche, in der ich dich befriedigen werde - auf jede Weise, die du möchtest." Sie konnte den Blick nicht von seinen Augen lösen, die jetzt wütend blitzten. „Anschließend wirst du Wa-verly Hall verlassen, wie du es versprochen hast."
Dominick sah sie scharf an. „An diesen verdammten Vorschlag hatte ich überhaupt nicht mehr gedacht, als ich dich
gestern abend bat, mit mir zu verreisen. Das weißt du genau!"
Anne wich zurück. „O nein! Ich habe
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